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Das neue Evangelium

Das neue Evangelium

Titel: Das neue Evangelium
Autoren: Mattias Gerwald
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leicht.
    Plötzlich hatte er das Gefühl, die Welt sei wirklich weiter geworden. Und die Glaubensfragen seiner Freunde versanken mit jeder Welle im Tosen der Brandung des Kap Apostolos Andreas. Aber dann begriff er, dass sie beide, er und auch Madeleine, nur deshalb so sprachen, weil sie sich längst anders entschieden hatten. Sie konnten so reden, weil ihre Standpunkte unverrückbar waren. Es gab keine Zukunft für sie.
    Madeleine sprach es in diesem Moment auch aus.
    »Ich bleibe hier, Uthman. Ich werde in dieses Kloster eintreten, wo sich Juden, Christen und Muslime im Denken nahe sind. Wo soll ich sonst solchen Frieden finden?«
    »Ich ahnte es«, sagte Uthman leise.
    »Meine Liebe zu dir hat keine Zukunft. Wir werden niemals heiraten können, weil keiner von uns seinen Glauben aufgibt. Also gehe ich in das Kloster. Gerade hier ist der richtige Ort. Mir war nicht klar, dass ich genau einen solchen Ort immer gesucht habe. Vielleicht erinnert er mich an das sturmumtoste Notre-Dame in der Bretagne.«
    »Kann man seine Heimat einfach aufgeben?«, fragte Uthman. Es klang so, als stellte er sich diese Frage selbst.
    »Wir müssen es«, meinte Madeleine. »Das Leben zwingt uns dazu, es zu tun.«
    »Ich gehe nach Syrien«, sagte Uthman leise. »Unten in dem kleinen Naturhafen an der Küste kann ich auf einem Segelboot mitfahren. Es wird in nur wenigen Tagen die syrische Küste erreichen. So bin ich schon bald auf vertrautem Boden.«
    »Es ist so traurig, dass wir es nicht geschafft haben, einen Mittelweg zu finden«, sagte Madeleine. »Aber es ist gut für unser Seelenheil, dass wir uns klar entscheiden.«
    »Es lässt keine ewig schwärenden Wunden zurück«, stimmte Uthman zu.
    »Und wir können noch einmal anfangen. Wir geben nicht auf!«
    Uthman seufzte. »Wir haben uns nichts vorzuwerfen«, sagte er dann.
    Sie blickten noch eine Weile hinaus auf das Meer. Die Vogelschwärme flogen mit lautem Geschrei dicht über ihre Köpfe hinweg. Und der Wind erzählte ihnen seine Geschichte.

 
    18
     
     
     
    März 1320. Tage der Trennung
     
    Das Ufer blieb zurück. Das kleine Segelboot schaukelte in der Dünung. Am Mast und am hinteren Ruder stand jeweils ein braun gebrannter Mann. Auf der Ruderbank saßen vier weitere Männer, die nur mit einem Lendenschurz bekleidet waren. Außer Henri und Sean hatten noch drei Mönche aus dem Kloster und ein Wollhändler aus Aphendrika die Reise angetreten.
    Es ging nach Kyrenia. Dort würde man das Boot gegen einen tüchtigen Segler tauschen. Von da aus ging es nach Konstantinopel. Die Weiterreise würde sie um den italienischen Sporn herum, durch die Meerenge von Gibraltar und durch den Golf von Biskaya führen. Bordeaux war das vorläufige Ziel ihrer Reise. Dort müssten sich die Passagiere ein Schiff nach Norden suchen. Henri und Sean hofften, im Sommer England zu erreichen.
    Joshua wollte erst in einigen Wochen aufbrechen. Wenn er seine Studien bei den Glaubensbrüdern des Andreasklosters beendet hatte, würde er sich nach London einschiffen. In Englands Metropole wollte man sich treffen. Das würde im Herbst sein.
    Sie hatten Uthman verabschiedet, der auf einer syrischen Dhau nach Osten segelte. Wann oder ob man sich wieder sah, würde die Zukunft zeigen. Henri hatte dem Gefährten seinen Aufenthaltsort in Roslin genannt. Wo Uthmans Familie in Damaskus lebte, wusste Henri.
    Madeleine zog es vor, sich nicht zu verabschieden. Sie ließ sich von einer Schwester des Klosters führen und verschwand hinter den Mauern des Klosters. Das Letzte, was die Gefährten von ihr sahen, war eine graue Kutte. Dann schloss sich die Klosterpforte für immer hinter ihr.
    »Es stimmt mich traurig, dass Madeleine nicht mehr bei uns ist«, sagte Sean. »Sie ist ein wunderbares Mädchen, meinst du nicht, Herr Henri?«
    »Ja«, stimmte Henri zu. »Und sie wird es immer sein.«
    »Ich war einmal verliebt in sie«, gestand Sean.
    »Das weiß ich. Es war in Notre-Dame – und auf den Wegen danach. Madeleine war ein patentes Mädchen. Aber als sie in die Fangstricke ihrer Gefühle geriet, verhielt sie sich nur noch wie eine gekränkte Verlobte. Es verstellte ihr den Blick.«
    »Sie hat sich entschieden«, sagte Sean. »Ich finde das bewundernswert. Sie verzichtet auf alles.«
    »Nicht auf alles, Sean. Sie wird mit Gott zusammen sein. Glaub mir, der ist zuverlässiger als jeder noch so ernsthafte Verehrer!«
    »Du sprichst von Uthman, Herr Henri!«
    »Er ist ein wunderbarer Mann! Aber wie alle Männer, wenn sie
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