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Das neue Evangelium

Das neue Evangelium

Titel: Das neue Evangelium
Autoren: Mattias Gerwald
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sollte.
    »Ich kehre nach Syrien zu meiner Familie zurück, die ich sehr vermisse«, sagte Uthman. »Vielleicht für immer. Vielleicht auch nur vorübergehend. Allah weiß es.«
    »So wird Zypern für uns zu einer Windrose werden, die uns vereint und dann in alle Himmelsrichtungen davonträgt?«, fragte Henri. Es hörte sich bekümmert an.
    »Wir werden sehen«, entgegnete Uthman. »Wir sind frei, jeder von uns. Wenn wir uns dazu entscheiden, können wir auch zusammenbleiben. Ist es nicht gut, dass wir Herren unseres Willens sind?«
    »Wir wandeln auf den Wegen des Herrn«, sagte Joshua leise.
    »Ich weiß«, sagte Uthman. »Aber Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit. So bleiben wir frei und befolgen doch die Gesetze, die uns gegeben sind.«
    »Suchen wir uns erst einmal eine Herberge«, schlug Sean vor. »Beim Abendessen können wir weiterreden. Denn das letzte Wort scheint mir noch nicht gesprochen.«
    »Ein kluger Knappe!«, scherzte Madeleine. Man merkte ihr aber an, wie traurig sie war.
     
     
    In der Kirche mit dem frei stehenden Glockenturm hörten Henri, Sean und Madeleine die Messe und dankten dem Herrn für die reibungslose Überfahrt.
    Es waren die Tage vor dem Beginn der Passionszeit Estomihi. Henri wusste, dass die byzantinische Ostkirche einen anderen Jahreskreis kannte als die Papstkirche in Rom, der er verpflichtet war. Er bewunderte die goldglänzenden Ikonen an den Wänden und im Altarraum, die von tausend Kerzen beleuchtet wurden. Und er lauschte den Gesängen in der Kirche. Henri unterschied acht kräftige, getragene Stimmen, jeweils in einer anderen Tonart. In diesen acht Kirchentonarten spiegelten sich die Wochen des Zyklus, der gerade begann. Sie vernahmen nun den ersten Ton im Gesang der schwarz gekleideten Priester und Mönche. Für Henri waren das keine fremden Töne. Und er dankte seinem Gott dafür, dass überall auf der Welt der Glaube lebendig war.
    Neben sich vernahm Henri plötzlich einige Worte in deutscher Sprache. Als er zur Seite blickte, sah er einen weißhaarigen, aber noch jung wirkenden, drahtigen Mann, der ins Gebet vertieft war. Er hielt den Kopf gesenkt. Als die Gebete beendet und die Gesänge verstummt waren, begab man sich gemeinsam nach draußen, wo man auf Uthman warten wollte.
    Der Deutsche war ein Pilger, der auch das Kloster des Barnabas aufsuchen wollte. Er hieß Ludolf von Suchen und kam aus dem Grenzgebiet zu Frankreich, weshalb er auch französisch sprach. Seit drei Monaten befand er sich schon auf Pilgerreise.
    »Ich habe von einem neuen Evangelium gehört«, sagte Ludolf mit verschwörerischer Miene. »Ich will es studieren.«
    »Ein neues Evangelium?«, fragte Henri verdutzt. »Davon ist mir nichts bekannt.«
    »Und doch ist es so! Man hat einen Papyrus gefunden, der aus der Feder des Apostels Barnabas stammt. Von einem Augenzeugen Jesu, versteht ihr?«
    »Das ist natürlich aufregend«, gestand Henri.
    »Es entstand früher als die vier Evangelien. Barnabas wurde verstoßen, deshalb hat man auch seine Schriften vernichtet, die er hinterlassen hatte. Aber jetzt ist angeblich eine sehr bedeutende Schrift von ihm aufgetaucht. Und darin, meine Freunde, schildert er das Leben unseres Herrn Jesu aus nächster Nähe. Und er scheint ungeheuerliche Dinge aufgeschrieben zu haben. Dinge, die unseren Glauben völlig auf den Kopf stellen können – ja, die ihn sogar für falsch erklären!«
    »Wer sagt so etwas?«, fragte Henri.
    »Ich hörte es von Priestern in Nikosia. Alle sind beunruhigt, und doch wollen sie die neue Kunde nicht unterdrücken. Wenn es stimmt, was sie sagen, steht uns eine neue Weltzeit des Glaubens bevor. Und ich will unbedingt von Anfang an dabei sein! Ich will Zeuge der neuen Zeit sein!«
    »Seid Ihr ein Ketzer, Ludolf?«
    »Aber nein! Ich bin ein Wahrheitssucher! Die überlieferte Geschichte unseres Herrn Jesu kam mir immer schon merkwürdig unvollständig vor. Wenn es jetzt einen Bericht aus den Händen seines jüdischen Apostels und Begleiters Barnabas gibt, dann klärt sich sicher vieles auf. Vielleicht bestätigt sich auch alles, was wir bisher angenommen haben. Auch das ist möglich, und ich bin darauf vorbereitet. Ich will es jedenfalls ganz genau wissen.«
    »Wir können zusammen reisen, Ludolf, denn auch ich will ins Kloster des Barnabas. Allerdings, von der geheimnisvollen Schrift wusste ich nichts!«
    »Das konntest du auch nicht, mein Freund. Sie ist erst vor kurzem entdeckt worden. Die Mönche in Nikosia berichteten davon,
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