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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk
Autoren: David Ignatius
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Natürlich dürfen wir das eigentlich nicht laut sagen, aber jedem halbwegs wachen Menschen müsste es ohnehin klar sein.»
    «Ich habe nicht allzu viele Vergleichsmöglichkeiten», sagte Anna.
    «Natürlich nicht. Aber Sie können mir glauben. Wie alt sind Sie?»
    «Nächsten Monat werde ich neunundzwanzig.»
    Stone schüttelte seufzend den Kopf. «Sie werden bald feststellen», sagte er, «dass es keinen großen Spaß macht, in einem solchen Umfeld zu arbeiten. Wenn Sie ganz oben sind und alle Welt sich um Ihre Freundschaft reißt, ist die Sache sehr viel einfacher. In dieser Position braucht man keine Agenten anzuwerben – die kommen ganz von selbst, weil sie glauben, es bringt ihnen Macht und Reichtum, wenn sie die USA unterstützen. Aber in Zeiten wie diesen müssen die Leute in erster Hinsicht befürchten, dass es sie das Leben kosten könnte.»
    «Ach, kommen Sie», sagte Anna. «So schlimm kann es doch nun auch wieder nicht sein.»
    Stone bedachte sie mit einem dünnen Lächeln. Er sah so müde und niedergeschlagen aus, dass Anna ihn instinktiv aufheitern wollte. Er erinnerte sie ein wenig an ihren Philosophieprofessor in Harvard, der in vorgerücktem Alter zu dem Schluss gekommen war, die Arbeit des Intellektuellen sei in dieser verkommenen Welt völlig sinnlos. Auch ihn hatte Anna immer aufheitern wollen. Sie hatte versucht, ihn wieder zum Unterrichten und zum Schreiben zu ermuntern, bis ihr eines Tages aufging, dass der verzweifelte alte Professor sie eigentlich nur ins Bett kriegen wollte. Das machte seinen Weltschmerz deutlich weniger überzeugend, und Anna hatte ihn kurzerhand abserviert. So tief konnte Stone aber eigentlich noch nicht gesunken sein.
    «Also, ich kann es jedenfalls kaum erwarten, endlich anzufangen», verkündete sie munter.
    «Das hört man gern», sagte Stone. «Das hört man wirklich gern. Fangen wir also an. Sie werden in London als NOC arbeiten, richtig?»
    «Genau.»
    «Und Ihre Tarnung sieht vor, dass Sie als Finanzberaterin bei einer Bank namens Halcyon Ltd. arbeiten?»
    «Ja.» Anna überlegte, woher Stone das alles wusste. Eigentlich hätten diese Details doch streng geheim sein müssen.
    «Um was für Leute sollen Sie sich dort kümmern?»
    Anna dachte einen Augenblick nach. «Leute, die in London auf der Durchreise sind, nehme ich an. Iraner, Araber, Türken. Die Anweisungen sind bisher nicht allzu spezifisch.»
    «Ziemlich breites Spektrum.»
    «Da haben Sie recht.»
    «Und wie sieht es mit Usbeken aus?»
    «Wie bitte?»
    «Mit Bürgern der sowjetischen Republik Usbekistan. Was ist mit denen? Hat Ihnen vielleicht jemand nahegelegt, auch mit denen Kontakte zu knüpfen?»
    «Nein.»
    «Oder zu Aserbaidschanern? Zu Armeniern, Abchasiern oder vielleicht auch Kasachen? Mit Ihren Sprachkenntnissen wären Sie doch die ideale Kontaktperson für diese Volksgruppen. Hat irgendwer so etwas erwähnt?»
    «Nein.»
    Stone nickte. «Natürlich nicht. Warum auch? Die Menschen aus dem Kaukasus und Zentralasien reisen schließlich nicht allzu oft nach London. Sie reisen überhaupt nicht viel. Ein Jammer übrigens.»
    «Wieso?»
    «Weil sie des Rätsels Lösung sind, meine Liebe.»
    Anna sah ihn an und versuchte zu begreifen, wovon er eigentlich redete. Was für ein Rätsel? Was für eine Lösung?
    «Wie Sie zweifellos den Zeitungen entnommen haben, gibt es da ein kleines Problem mit der Sowjetunion», fuhr Stone fort. «Doch worin genau besteht dieses Problem?»
    Anna zuckte die Achseln.
    «Das Problem besteht darin, dass Russland stark und selbstbewusst wirkt, während sich die USA konfus und schwach präsentieren. Das gilt vor allem für das gewaltige Katastrophengebiet, das sich von der Türkei bis nach Afghanistan erstreckt und von den Nachrichtenmagazinen neuerdings gern als ‹Krisen-Halbmond› bezeichnet wird. So wird das allgemein gesehen, richtig?»
    «Ja», sagte Anna und fragte sich im Stillen, warum er ihr das alles erzählte.
    «Aber die Realität sähe ganz anders aus, wenn wir nur klug genug wären, das zu erkennen.» Stone hob den Zeigefinger, als wäre ihm dieser Gedanke gerade erst selbst gekommen. «In Wahrheit ist die Sowjetunion in diesem Teil der Welt gar nicht stark, sondern schwach. Gefährlich schwach sogar. Und wir, die Vereinigten Staaten, könnten dort den Hebel ansetzen, wenn wir bloß wüssten, wie. Denn um es einmal ganz unverblümt zu sagen: Die Sowjetunion ist ein einziges, instabiles Kartenhaus, das nur darauf wartet, weggepustet zu werden.»
    «Mir kam
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