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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele
Autoren: Ralf Isau
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Stella Kalder, war nicht nach dem Geschmack der Medienleute. Ja, es sorgte fast jeden Tag für neue, immer wildere Spekulationen. Ein Kabelsender verbreitete sogar das Gerücht, die deutsche Forschungsreisende in Sachen Internet sei in den Cyberspace aufgebrochen und dort einfach verschwunden.
    In Washington herrschte ausgelassene Stimmung. Es war der vierte Juli, der Nationalfeiertag der Amerikaner. Stella konnte mit dem überschwänglichen Patriotismus, der auf Paraden, Volksfesten und natürlich im Fernsehen zur Schau gestellt wurde, nicht viel anfangen. Außerdem musste sie ständig an den Sonntag denken. Aus unterschiedlichen Quellen hatte sie erfahren, dass es schon zu den wirklich außergewöhnlichen Ereignissen gehörte, wenn eine Privataudienz beim mächtigsten Mann der Erde mit einem Sonntag zusammenfiel.
    Als es dann endlich so weit war, kam Stella mit der ungewohnten Situation aber schnell zurecht. Im Oval Office des Präsidenten gab es zunächst leichtes Gebäck, Kaffee, Tee und Limonade. Auch Agaf Nbugu, Kimiko Shirakaba und Benjamin Bernstein – der »harte Kern der Widerständler«, wie der Präsident schmunzelnd anmerkte – waren eingeladen. Barney Brown ließ sich entschuldigen, allzu viel Publicity schade nur dem Ruf des Dunklen Lauschers.
    Unter einem wahren Blitzlichtgewitter der akkreditierten Reporter bekamen alle Gäste dann einen Orden verpasst. Stella fand das zwar ziemlich merkwürdig, aber Salomon hatte ihr vorher erklärt, dass derartige Ehrenbezeigungen zu den Standardritualen bei Staatsoberhäuptern gehörten. Sie versuchten damit ihre Versäumnisse auf anderen Gebieten zu vertuschen.
    Auf diese Art vorbereitet, gelang es Stella, dem Präsidenten und seiner Gattin – die im Übrigen mehr redete als ihr Mann – das rechte Bild vom braven, liebreizenden Töchterchen und zugleich unerschrockenen deutschen »Fräuleinwunder« zu vermitteln. Diese Titulierung stammte vom Präsidenten persönlich, der mächtig stolz auf sich und seine rudimentären Deutschkenntnisse war.
    Unter Ausschluss der Öffentlichkeit konnte Stella dann nochmals den echten und ungeheuchelten Dank dieses mit Verantwortung so schwer beladenen Mannes entgegennehmen. Der Präsident verzieh der »Retterin der Welt« sogar, dass sie »nur eine halbe Amerikanerin« war. Mit Bezug auf das plötzliche und mysteriöse Hinscheiden von Arthur Meredith Lloyd schwang sich der Staatsmann dann noch zu einer wahrhaft großen Bemerkung auf. Später gestand er augenzwinkernd ein, dass er diese von Thomas Jefferson, dem dritten Präsidenten der USA, entliehen habe. Er sagte: »Gerechtigkeit ist instinktiv und angeboren und ebenso ein Bestandteil unseres Wesens wie das Fühlen, das Sehen und das Hören.«
    Ja, dachte Stella bei sich, das passte. Brainar hatte – genauso wie sie selbst – in Illusion fühlen, sehen und hören können. Und nun war ihm Gerechtigkeit widerfahren. Salomon munkelte, es könne vielleicht doch etwas an der Hypothese dran sein, das Internet habe sich unter dem Einfluss des Kagee-Mutanten und des Brain Array zu einer Art Metahirn entwickelt. Sei’s drum, schloss Stella die Angelegenheit für sich ab: Wenn das Überhirn dem Recht auf diese Weise Geltung verschaffte, dann sollte es den Bösewichtern dieser Welt ruhig ein bisschen länger auf die Finger schauen.
    Ob es dem Präsidenten allzu viel ausmache, wenn er dem Dunklen Lauscher seinen Orden per Post zusende, fragte Stella den mächtigsten Mann der Welt zum Abschied. Der Präsident lachte wie ein kleiner Junge. Kein Problem, antwortete er, notfalls könne er Barney Brown einen Hubschrauber schicken.
    »Oh, bitte nicht«, wehrte Stella ab und wedelte mit den Händen. »Lauscher mag’s gerne heimlich. Am besten, Sir, Sie stecken das Ding in eine Donut-Schachtel und lassen es von einem Imbiss-Service zustellen.«
    Der Präsident zwinkerte mit dem Auge. »Gute Idee. So werden wir’s machen.«
    Vor dem Weißen Haus verabschiedeten sich die Kalders von den »Cyberworms«, wie Salomon das Gespann aus Agaf, Kimiko und Benny scherzhaft nannte. Schon im Herbst, wenn der Indian Summer die Blätter in Neuengland zum Glühen brachte, wollte man sich auf dem Kalder-Sitz in Connecticut wieder sehen.
    Am liebsten hätte Stella Benny gar nicht gehen lassen. Salomon hatte sie schon vor Tagen durchschaut, als er ihre Gefühle für den sieben Jahre älteren Jungen analysierte. Stella heulte wie ein Schlosshund. Aber das machte Benny komischerweise überhaupt nichts aus. Sie
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