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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele
Autoren: Ralf Isau
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Sie hatte in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag tief und fest geschlafen. Sogar geträumt hatte sie wieder – von kleinen Schmetterlingen, die mit Hilfe von benzingetriebenen Propellern am Himmel über Venedig Fangen spielten. Stella saß auf ihrem Krankenhausbett und trug einen leuchtend roten Jogginganzug. Gerade hatte Salomon ihr berichtet, dass man in den Servern des Intruder-Labors und von Geneses tatsächlich auf zwei geschickt versteckte Datenarchive gestoßen sei.
    Zuerst hatte man befürchtet, die Informationen aus den Geneses-Rechnern könnten bei dem Schusswechsel im Rechenzentrum beschädigt worden sein, aber diese Sorge erwies sich zum Glück als unbegründet. Das Historienarchiv war nicht einmal verschlüsselt. Es enthielt interessante Einzelheiten – Termine, Geldbeträge, Abwicklungsverfahren – zu dem unerlaubten Technologietransfer mit der NSA. Leider erschien nirgendwo DiCampos Name. Es war nur mehrmals vom »Herrn des Feldes« die Rede, aber ob das vor einem Gericht Bestand haben würde, war zweifelhaft.
    Das »Geheime Stadtarchiv« von Enesa – DiCampos ganz persönliche Schuldbilanz – war bisher noch nicht entschlüsselt worden. Aber Barney schien zuversichtlich, auch diese Nuss in Kürze knacken zu können. Ganz unprätentiös hatte er sofort einen Auszug des Archivs per E-Mail an Jessica weitergeleitet. »Gemeinsam sind wir stark«, war sein pathetischer Kommentar zu diesem Entschluss gewesen.
     
     
    »Vom Brain Array gibt’s fast ausnahmslos gute Nachrichten«, antwortete Salomon auf Stellas Frage, während Viviane sich zu ihr auf die Bettkante setzte und ihre Hand nahm. »Alle vierundsechzig Kinder konnten von der Apparatur getrennt werden. Es ist noch zu früh, um sagen zu können, ob durch die Zusammenschaltung der Kleinen ernsthafte Dauerschäden entstanden sind.«
    »Ist das der einzige Schönheitsfehler an deinen Neuigkeiten?«, fragte Stella argwöhnisch.
    »Leider nicht. Drei der älteren Kinder sind letzte Nacht gestorben.«
    Stella schluckte. Sie musste wieder an die flehenden Augen des kleinen Jungen aus Illusion denken. Hatte sie ihm zu viel versprochen?
    »Ohne dich wären bald alle diesen Weg gegangen«, tröstete Viviane sie. Sie spürte, wie sehr diese Nachricht ihre Tochter getroffen hatte.
    Salomon nickte traurig. »Wir dürfen nicht vergessen, dass die Kleinen niemals echte Liebe gespürt haben. Es ist seit langem – bekannt, dass allein schon dieser Mangel ein Kind töten kann. Außerdem wurden die Ärmsten ja nur von Roboterarmen bewegt, gerade genug, damit die Muskulatur nicht völlig verkümmerte. Sie haben so viele Entbehrungen erlitten, dass es zu keinem Zeitpunkt eine reelle Chance gab, alle zu retten.«
    »Wie können Menschen anderen nur so etwas antun?«, murmelte Stella kopfschüttelnd. »Sie hätten niemals einen Menschen klonen dürfen. Und dann diese Maschine – ein richtiges Teufelsding ist das!«
    Salomon streichelte seiner Tochter über das blonde Haar. »Leider sind Wissenschaftler auch nur Menschen, Sternchen, mit allen Fehlern, die dazugehören. Das Brain Array war ein technisch verwegener Plan – leider ohne jede Moral. So etwas kann schnell passieren, wenn man sich in seinem Elfenbeinturm verschanzt.«
    Ein leises Klopfen störte die nachdenkliche Stille, die einige Sekunden lang den Raum erfüllt hatte.
    »Herein«, sagte Viviane.
    »Benny!«, rief Stella erfreut, als sie den Lockenkopf im Türspalt entdeckte.
    »Störe ich?«
    »So ‘n Quatsch! Jetzt komm schon her. Für einen Freund hast du dich in letzter Zeit ganz schön rar gemacht.«
    »Du hast so viel geschlafen, Stella.«
    »Dann hättest du mich eben wecken müssen!«
    »Ich hab dir was mitgebracht.«
    Stella drehte den Kopf nach links, dann nach rechts. »Ich kann keine Blumen sehen.«
    Dieser Wink mit dem Zaunpfahl verpuffte beinahe wirkungslos. Benny rang sich ein schiefes Grinsen ab. Anstatt duftender Blüten ließ er ein dickes Bündel Papier auf die Bettdecke fallen. »Habt ihr heute schon die Zeitung gelesen?«
    Stella blickte mit zusammengezogenen Augenbrauen auf das Titelblatt des Boston Globe. Als sie nicht sogleich die Überschrift fand, die Bennys ernste Miene gerechtfertigt hätte, tippte dieser mit dem Zeigefinger zwei-, dreimal auf einen kleineren Artikel am Rande des Blattes. Bestürzt lasen Stella und ihre Eltern erst den Titel, dann den ganzen Artikel.
     
    Arthur M. Lloyd gestorben
    Computer zerschnitt die »Lebensschnur« des MIT-Professors Boston. Der vor
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