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Das Nest

Titel: Das Nest
Autoren: Val McDermid
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Und wenn Sie glauben, heute nacht so weitermachen zu können, vergessen Sie’s. Wir haben bereits Unterstützung angefordert und ich warne Sie: Alle werden gleich streng behandelt werden, wenn Sie nicht sofort weitergehen. Vielen Dank und gute Nacht.«
    Unwillkürlich breitete sich bei seinen Worten ein Grinsen über Lindsays Gesicht. Die Steuerzahler-Demonstranten, denen organisierter Widerstand völlig fremd war, setzten sich beinahe sofort in Bewegung, um in den eigenen Reihen weiterzumurren. Die erfahreneren Frauen rückten enger zusammen und sangen herausfordernd. Lindsay wandte sich Gavin zu und bemerkte: »Geh diesen Steuerzahler-Leuten nach und schau, ob du ein paar Aufnahmen zustandebringst. Ich werd’ mit den Polypen und den Frauen reden. Wir treffen uns in zehn Minuten bei der Telefonzelle an der Ecke. Das wird eine schöne Hektik mit dem Bericht.«
    Rasch schritt sie auf den Polizeichef zu und zog ihren Presseausweis hervor. »Lindsay Gordon. Vom Daily Clarion«, erklärte sie. »Kann ich Ihren Kommentar zu dem Vorfall haben?«
    Rigano sah auf sie hinunter und lächelte grimmig. »Sie können erwähnen, daß die Polizei alles unter Kontrolle hatte und beide Seiten von Demonstranten friedlich auseinandergingen.«
    »Und der Angriff?«
    »Der angebliche Angriff, meinen Sie?«
    Jetzt war Lindsay an der Reihe, grimmig zu lächeln. »Der angebliche Angriff«, bestätigte sie.
    »In Verbindung mit einer angeblichen tätlichen Beleidigung wurde in Brownlow Common am frühen Abend eine Frau verhaftet. Die Anklage erfolgt voraussichtlich in den nächsten Tagen. Morgen früh wird sie dem Bezirksgericht in Fordham vorgeführt. Das war’s dann.« Abrupt wandte er sich von ihr ab, als seine Männer begannen, die Frauen die Stufen hinunterzutragen. Sobald eine Frau auf der Straße abgesetzt worden war und die Polizei zurückkehrte, um die nächste zu holen, rannte die erste schon wieder die Treppe hinauf. Lindsay wußte genau, was sie jetzt erwartete. Es würde so weitergehen, bis Verstärkung eintraf und die Zahl der Polizisten die der Protestierenden überstieg. Hier fand ein ritueller Tanz statt, der von beiden Seiten bis zur Perfektion geübt worden war.
    Da erblickte Lindsay ein bekanntes Gesicht, das gerade unsanft auf den Gehsteig abgeladen wurde. Sie ging hinüber und ergriff den Arm der Frau, bevor diese zu den Stufen zurückkehren konnte. »Jackie, ich bin’s, Lindsay. Ich schreib’ an einer Geschichte über die Demonstration. Kannst du mir rasch ein paar Sätze dazu sagen?« bat sie.
    Die junge dunkelhäutige Frau antwortete grinsend: »Aber sicher. Deine Zeitung kann veröffentlichen, daß unschuldige Frauen von der Polizei gefangengenommen werden, weil wir unsere Kinder in einer atomfreien Welt aufziehen wollen. Frauen, die für den Frieden kämpfen, gehen nicht herum und schlagen Männer zusammen. Eine unserer Freundinnen wurde eingelocht, und deshalb machen wir hier diese friedliche Protestdemonstration. Alles klar? Jetzt muß ich wieder zurück. Bis später, Lindsay.«
    Lindsay blieb keine Zeit, die weiteren Geschehnisse abzuwarten. Als sie zur Telefonzelle zurückhastete, mußte sie an einem mit Uniformierten randvollen Polizeiwagen vorbei, der in einer Ecke des Hauptplatzes parkte. Neben dem öffentlichen Fernsprecher erkannte sie Gavins besorgtes Gesicht.
    Sie betrat die Kabine und wählte die Nummer des Schreibbüros in der Redaktion. Sie kam sofort durch und begann, ihre Geschichte zu diktieren. Nachdem sie fertig war, drehte sie sich zu Gavin um und erklärte: »Eine Sekunde, ich verbind’ dich gleich, damit du deine Infos durchgeben kannst. Okay? Hör zu, wie heißt die Frau, die beschuldigt worden ist? Dem Richter wird’s zwar nicht gefallen, aber ich möcht’ den Namen doch drin haben, morgen.«
    »Sie kommt aus Yorkshire, glaub’ ich«, erwiderte er, »und heißt Deborah Patterson.«
    Lindsay klappte das Kinn hinunter. »Was hast du gesagt… Deborah Patterson?«
    Er nickte. Plötzlich erfüllte Lindsay ein seltsames Gefühl von Unwirklichkeit. Deborah Patterson. Der letzte Name, den sie jetzt erwartet hatte. Es war einmal der Name gewesen, den sie oft zum Zeitvertreib auf ihren Schreibblock gekritzelt hatte, während sie darauf wartete, daß unbekannte Leute, die sie anrufen mußte, endlich ans Telefon gingen. Ihre Art, sich mit der Frau zu beschäftigen, mit der sie ihre Nächte verbrachte. Aber das war lange her. Jetzt war ihr Geist zurückgekehrt, um in ihrem Kopf herumzuspuken.
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