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Das Nest

Titel: Das Nest
Autoren: Val McDermid
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Problem. »Am besten fahre ich kurz vorbei und schau’ nach, was los ist«, schlug sie vor. »Jetzt in der Nacht kann ich in einer Stunde dort sein. Für den Fall, daß sich die Sache zuspitzt, sollten wir jemanden vor Ort haben. Ich weiß nicht, wie zuverlässig der Typ ist, der den Erstbericht geschickt hat. Ich hab’ ein paar ganz gute Kontakte zu Frauen in dem Friedenscamp. Dabei könnte ein erstklassiger Exklusivbericht herauskommen. Was meinst du?«
    Cliff zuckte die Schultern. »Weiß nicht. Ist mir egal.«
    Lindsay seufzte. »Nach allem, was wir bis jetzt wissen, handelt es sich immerhin um eine ernstzunehmende Gesetzesübertretung. Ich fänd’s ärgerlich, wenn uns die Konkurrenz die Geschichte wegschnappt, bei dem Startvorteil, den wir durch meine Kontakte haben konnten.«
    »Na, dann nutz sie doch, deine Kontakte. Klemm dich dahinter!«
    »In dem Camp gibt’s keine Telefone, Cliff. Die britische Telefongesellschaft hat unerklärlicherweise eine ausgesprochene Zurückhaltung an den Tag gelegt, als es darum ging, die Dinger in den Zelten zu installieren. Außerdem sind die da unten zur Zeit höchstwahrscheinlich stark damit beschäftigt, den Polypen ihre Proteste klarzumachen. Ich sollte wirklich fahren. Alles andere ist für die Katz’, ehrlich.«
    Er grinste. »Okay, Lindsay, wirf einen Blick auf die Angelegenheit. Ruf mich an, wenn du dort bist. Vielleicht kann ich in der Zwischenzeit doch noch telefonisch ein paar Infos zusammenkratzen. Und vergiß die Zeit nicht – der beste Exklusivbericht ist absolut wertlos, wenn wir ihn nicht mehr unterbringen.«
    »Was hältst du von einem Fotografen?«
    »Falls du einen brauchst, laß es mich wissen. Wenn ich mich recht erinnere, gibt’s dort einen aus der Branche, der schon für uns gearbeitet hat.«
    Fünf Minuten später schlängelte sich Lindsays nicht mehr ganz neuer MG durch den Londoner Verkehr. Die Schaltung auf Automatik, grub sie in Gedanken mühsam ihr gesamtes Wissen über das Friedenscamp aus.
    Neun Monate waren nun schon seit ihrem ersten Besuch dort vergangen. An einem schönen Maisonntag und nach einem ausgedehnten Mittagessen mit Freundinnen in Oxford hatten Cordelia und sie den dreißig Kilometer weiten Umweg gemacht. Lindsay war in einer Sonntagsausgabe auf einen Artikel über das Camp gestoßen, der sie neugierig gemacht hatte, sich das alles einmal mit eigenen Augen anzusehen. Cordelia, die genau wie Lindsay die Stationierung der atomaren Sprengkörper ablehnte, ließ sich gern zu diesem ersten Besuch überreden; trotzdem war sie nicht davon zu überzeugen, daß es sich bei dem Friedenscamp um eine effektive Form des Protests handelte. Sie drückte ihre Ablehnung lieber auf die herkömmliche Weise, wie durch Briefe an den Guardian oder an Parlamentsabgeordnete aus. Das Lebensgefühl in solchen Camps war ihr immer fremd gewesen. Sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, von den Frauen, die dort auf derart großartige und kompromißlose Weise für den Frieden kämpften, abgeschätzt und für zu leicht befunden zu werden. Das war auch der Grund, weshalb sie Lindsay bei deren späteren Besuchen nur noch selten begleitete. Sie begnügte sich lieber damit, die Frauen finanziell zu unterstützen und schickte Lindsay los, um einzukaufen, was gerade gebraucht wurde – von Linsen bis zu Chemikalien für die sanitären Einrichtungen.
    Darüber hinaus verdrängte sie ihr anfängliches Mißtrauen und bemühte sich, keine Vorurteile zuzulassen.
    Das Friedenscamp war vor über einem Jahr spontan entstanden. Eine Gruppe Frauen war vom Westen des Landes zum amerikanischen Luftwaffenstützpunkt in Brownlow Common gewandert, um gegen die dortige Stationierung von Marschflugkörpern aus den USA zu protestieren. Am Ende ihres dreiwöchigen Marsches hatte sich so viel Wut und Enthusiasmus in ihnen aufgestaut, daß sie beschlossen, als ständigen Protest ein Friedenscamp gegen die atomare Kolonisierung ihres grünen Landes zu errichten.
    Als Lindsay an diesen Nachmittag im Frühsommer zurückdachte, fiel es ihr schwer, sich daran zu erinnern, was sie eigentlich erwartet hatte. Die Realität dessen, was sie damals vorgefunden hatte, hatte alle ihre Vorstellungen mit einem Schlag zunichte gemacht. Von der Hauptstraße waren sie in einen größeren Waldweg eingebogen. Nach etwas mehr als zwei Kilometern hörten die Bäume auf der einen Seite des Weges plötzlich auf und gaben eine Lichtung frei, die etwa so groß war wie zwei Fußballplätze. In ihrer Mitte
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