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Das Nest

Titel: Das Nest
Autoren: Val McDermid
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gerufen, die Frauen loszuwerden, die nach Meinung der Ortsansässigen lediglich ein öffentliches Ärgernis, ein gesundheitliches Risiko und einen Schandfleck darstellten. Die Rowdies aus dem benachbarten Fordham hatten begonnen, das Camp in nächtlichen Angriffen mit Brandbomben zu terrorisieren. Und auch das Verhalten der Polizei während der Demonstrationen war immer stärker von Übergriffen und Feindschaft geprägt. Wenn die Medien überhaupt darüber berichteten, dann auf primitive und ewig gleich ablehnende Art und Weise. In trauter Zweisamkeit mit dem Verteidigungsministerium versuchten die Lokalbehörden, die Frauen auf gerichtlichem Weg zu vertreiben. Dieser ständige Zermürbungskrieg zusätzlich zum strengen Winterwetter hatte das Camp sowohl materiell als auch einstellungsmäßig verändert. Das sommerliche Grün war ölig-sumpfigem Morast aus rötlichbraunem Lehm gewichen. Die Zelte waren verschwunden, an ihrer Stelle waren an Gerüsten aus Ästen und Zweigen Plastikplanen festgebunden worden und bildeten Behausungen, die an Indianertipis erinnerten. Sie waren häßlich aber billig, beinahe unbrennbar und leicht wiederaufzubauen. Statt ihrer regenbogenfarbenen Kleider trugen die Frauen jetzt eintönige Wintersachen – die grimmige Februarkälte hatte sie dazu gezwungen. Aber viel gravierender erschien Lindsay der Stimmungswechsel, der eingetreten war. Die Atmosphäre liebevoller, friedlicher Wärme, dieses letzte Relikt aus den Sechzigern, war von einer überall spürbaren Härte überlagert worden. Niemand zweifelte, daß es sich hier um blutigen Ernst handelte.
    Typischer Fall von Ironie des Schicksals, dachte Lindsay, daß erst ein krimineller Vorfall den Clarion von der Notwendigkeit überzeugen konnte, über das Camp zu berichten. Nicht erst einmal hatte sie dem Chefredakteur eine Reportage über die Frauen dort vorgeschlagen, wofür sie dann mit schöner Regelmäßigkeit Hohn und Spott erntete. Zu guter Letzt hatte Lindsay es aufgegeben. Schließlich wollte sie ihren neuen Job in London nicht aufs Spiel setzen. Und das, obwohl sie gar nicht so begeistert von ihm war, wie sie angenommen hatte. Nach der Zeit als anerkannte Journalistin, der die guten Aufträge überlassen wurden, mußte sie sich jetzt erst wieder daran gewöhnen, als eine unter vielen im großen Fischteich zu zappeln. Andrerseits erinnerte sie sich nur zu gut an die Jahre als schwerarbeitende und nägelbeißende Freiberuflerin, bis sie endlich die Sicherheit der ersten Lohntüte in den Händen halten durfte. Noch war sie nicht wieder bereit, zu dieser Art von Leben zurückzukehren.
    Jane Thomas bestärkte sie jedenfalls, ihr Talent für das Camp einzusetzen. Also hatte Lindsay ihre Kontakte aus den früheren Zeiten mobilisiert und einige Reportagen ans Ausland verkauft, um ihr Gewissen zu beruhigen. In Frankreich, Italien und Deutschland waren ausführliche Artikelserien über das Camp erschienen und ein amerikanisches Nachrichtenblatt hatte sogar eine Farbreportage gebracht. Aber irgendeine innere Stimme flüsterte ihr beharrlich zu, daß das immer noch nicht genug war. Sie fühlte sich schuldig wegen der Veränderungen, die sie seit dem Beginn ihrer Beziehung zu Cordelia zugelassen hatte. Neben dem Charme der Geliebten war es Cordelias luxuriöse Lebensweise gewesen, die sie hatte schwach werden lassen. Im Laufe der Zeit war es immer schwieriger geworden, die politische Überzeugung, die ihr immer so wichtig gewesen war, aufrecht zu erhalten. »Die Luft ist raus, Gordon«, sagte sie zu sich selbst, als sie von der Autobahn herunter auf die Bundesstraße nach Fordham fuhr. Aber vielleicht lauerte die Chance zur Wiedergutmachung schon hinter der nächsten Kurve?
    In der Umgebung des verschlafenen Marktstädtchens Fordham begann ihr Funkgerät hartnäckig zu piepsen. Seufzend warf sie einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. Neun Uhr fünfzehn. Eine Dreiviertelstunde vor Redaktionsschluß. Fünf kostbare Minuten irrte sie auf der Suche nach einer Telefonzelle umher, dann rief sie Cliff an.
    »Wo bist du?« bellte er.
    »Fünf Minuten vom Polizeirevier entfernt. Hättest du mich nicht angepiepst, wäre ich inzwischen dort.«
    »Okay, fein. Ich hab’ noch einmal mit dem Fotografen vom Lokalblättchen gesprochen und ihm erklärt, daß du unterwegs bist. Er wird sich mit dir in Verbindung setzen. Er heißt Gavin Hammill und wartet im Foyer des Griffon’s Head an der Bar auf dich. Soll am Hauptplatz sein. Er trägt einen Parka und
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