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Das Moskau-Komplott

Das Moskau-Komplott

Titel: Das Moskau-Komplott
Autoren: Daniel Silva
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Akzent und entpuppte sich als der frische Wind, der dringend benötigt wurde. Sie unternahm Ausritte- »Sie reitet nicht übel«, wie Isabella die anderen informierte - und organisierte komplizierte Spiele mit den Ziegen und Hunden. Heimlich gestattete sie Margherita, in Signore Vianellis Räumen zu putzen, und ermunterte Anna sogar zum Kochen. Ob sie Mann und Frau waren, blieb unklar. Aber zwei Dinge wusste Margherita mit Bestimmtheit: Signor Vianelli und Francesca teilten sich ein Bett, und seine Laune hatte sich seit ihrer Ankunft deutlich gebessert.
    Und dann waren da die Lieferwagen. Der erste brachte einen jener weißen Tische, wie man sie in professionellen Labors findet, der zweite ein großes Mikroskop mit flexiblem Stativarm. Dann kamen zwei Lampen, die, wenn man sie anmachte, die ganze Villa in einem intensiven weißen Licht erstrahlen ließen, und eine Kiste mit Chemikalien, von deren Gestank Margherita beim Öffnen fast die Sinne schwanden. In rascher Folge trafen weitere Sendungen ein: zwei große Staffeleien aus lackierter Eiche, eine merkwürdig aussehende Lupenbrille, Wattebündel, Holzbearbeitungswerkzeuge, Dübel, Pinsel, hochwertige Bindemittel und mehrere Dutzend Gefäße mit Pigmenten.
    Drei Wochen nach Signor Vianellis Ankunft kroch schließlich ein dunkelgrüner Lieferwagen die von Bäumen gesäumte Zufahrt herauf, gefolgt von einer offiziell aussehenden Lancia-Limousine. Beide Fahrzeuge hatten keinerlei Abzeichen, aber die Buchstabenfolge SCV auf ihrem Nummernschild verriet ihre Verbindung zum Heiligen Stuhl. Aus dem Laderaum des Lieferwagens kam ein großes, scheußliches Gemälde zum Vorschein, auf dem zu sehen war, wie ein Mann ausgeweidet wurde. Es wurde unverzüglich in Graf Gasparris Salon getragen und auf die beiden großen Staffeleien gestellt.
    Isabella, die Kunstgeschichte studiert hatte, ehe sie ihr Leben den Pferden widmete, erkannte in dem Kunstwerk sofort das
Martyrium des heiligen Erasmus,
gemalt vom französischen Maler Nicolas Poussin. Im Jahr 1628 vom Vatikan in Auftrag gegeben und im Stil Caravaggios ausgeführt, wurde es heute in der Pinakothek der Vatikanischen Museen aufbewahrt. Noch am selben Abend verkündete sie am Esstisch des Personals, dass das Rätsel gelüftet sei. Signor Alessio Vianelli sei ein berühmter Kunstrestaurator. Und er sei vom Vatikan damit betraut worden, ein Gemälde zu retten.
    Seine Tage nahmen einen ausgesprochen klösterlichen Rhythmus an. Er arbeitete vom Morgengrauen bis zum Mittag durch, verschlief die heißen Nachmittagsstunden und arbeitete dann wieder von der Abenddämmerung bis zum Essen. In der ersten Woche blieb das Gemälde auf dem Arbeitstisch, wo er mit dem Mikroskop die Oberfläche untersuchte, eine Reihe von Detailfotos machte und Schäden an Leinwand und Rahmen reparierte. Dann stellte er das Gemälde auf die Staffeleien und begann, den Oberflächenschmutz und den vergilbten Firnis zu entfernen. Dies war ein äußerst mühsames Unterfangen. Zunächst fertigte er unter Verwendung eines Wattebausches und eines Holzdübels einen Tupfer an. Dann tauchte er den Tupfer in Lösungsmittel und säuberte die Oberfläche des Bildes mit kreisförmigen Bewegungen -
behutsam,
wie Isabella den anderen erklärte, damit die Farbe nicht verwischt wurde. Mit einem Tupfer ließen sich ungefähr sechs Quadratzentimeter des Gemäldes reinigen. Wurde er zu schmutzig, ließ er ihn einfach zu Boden fallen und machte sich einen neuen. Laut Margherita war das so, als ob man die gesamte Villa mit einer Zahnbürste putze. »Kein Wunder, dass er ein komischer Kauz ist«, sagte sie. »Seine Arbeit treibt ihn zum Wahnsinn.«
    Als der alte Firnis entfernt war, trug er einen schützenden Zwischenfirnis auf die Leinwand auf und nahm die letzte Phase der Restaurierung in Angriff, die Retuschierungjener Teile des Gemäldes, an denen der Zahn der Zeit genagt hatte. Dabei kopierte er Poussin so perfekt, dass unmöglich zu sagen war, wo der Strich des alten Meisters endete und seiner anfing. Er fügte sogar eine künstliche Craquelure, wie das spinnwebartige Netz feiner Oberflächenrisse genannt wurde, hinzu, sodass sich die neue übergangslos an die alte fügte. Isabella kannte die italienischen Kunstkreise gut genug, um zu begreifen, dass Signor Vianelli kein gewöhnlicher Restaurator war. Er musste etwas Besonderes sein. Die Männer im Vatikan hatten ihm ihr Meisterwerk nicht ohne Grund anvertraut.
    Aber warum arbeitete er hier, auf einem abgelegenen Gut in den
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