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Das Moskau-Komplott

Das Moskau-Komplott

Titel: Das Moskau-Komplott
Autoren: Daniel Silva
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im Schlafzimmer der Herrensuite Licht an, und sie konnte sehen, wie er ruhelos umherstreifte, als suche er einen verlorenen Gegenstand. Kurz tauchte er am Fenster auf, und mehrere Sekunden lang starrten sie einander über den Hof hinweg an. Dann bedachte er sie mit einem kurzen soldatischen Nicken und schloss mit einem energischen Knall die Fensterläden.
    Richtig begrüßten sie einander am nächsten Morgen beim Frühstück. Nach einem höflichen, aber kühlen Austausch von Nettigkeiten eröffnete er ihr, dass er in die Villa dei Fiori gekommen sei, um zu arbeiten. Sobald er mit dieser Arbeit beginne, so erklärte er, seien Lärm und Störungen auf ein Mindestmaß zu beschränken, ohne allerdings näher darauf einzugehen, worin diese Arbeit bestehe und wie man wissen solle, wann er damit begonnen habe. Des Weiteren verbot er Margherita strikt, seine Räumlichkeiten zu betreten, und teilte einer am Boden zerstörten Anna mit, dass er sich seine Mahlzeiten selbst bereiten werde. Als Margherita den übrigen Bediensteten ausführlich von dem Gespräch berichtete, beschrieb sie sein Benehmen als »reserviert«. Anna, die sofort eine tiefe Abneigung gegen ihn gefasst hatte, war in ihrem Urteil weit weniger nachsichtig: »Grässlich ungehobelt«, befand sie. »Je schneller er wieder verschwindet, desto besser.«
    Sein Leben folgte bald einer strengen Routine. Nach einem spartanischen Frühstück, bestehend aus Espresso und trockenem Toast, brach er zu einem langen Gewaltmarsch über das Landgut auf. Anfangs schrie er die Hunde an, wenn sie ihm nachliefen, doch nach einiger Zeit fand er sich mit ihrer Gesellschaft ab. Er spazierte durch die Olivenhaine und Sonnenblumenfelder und wagte sich sogar in den Wald. Als Carlos ihn beschwor, wegen der Wildschweine doch eine Schrotflinte mitzunehmen, versicherte er ihm gelassen, er könne schon auf sich aufpassen.
    Nach dem Fußmarsch brachte er eine Weile damit zu, seine Unterkunft zu reinigen und Wäsche zu waschen, dann bereitete er sich ein leichtes Mittagsmahl - gewöhnlich ein Stück Brot mit hiesigem Käse oder, wenn er besonders abenteuerlustig gestimmt war, Pasta mit Tomatensoße aus der Dose. Anschließend ließ er sich, nachdem er im Pool einige stramme Bahnen geschwommen war, mit einer Flasche Orvieto und einem Stapel Bücher über italienische Maler im Garten nieder. Sein Auto, ein verbeulter VW Passat, setzte eine dicke Staubschicht an, denn er verließ das Anwesen kein einziges Mal. Anna ging grollend für ihn auf den Markt und füllte ihren Korb mit der Miene einer Virtuosin, die gezwungen ist, eine einfache Kindermelodie zu spielen. Einmal versuchte sie, ein paar lokale Gaumenfreuden durch seine Verteidigungslinie zu schmuggeln, doch als sie am nächsten Morgen zur Arbeit erschien, lag die Schmuggelware auf der Küchentheke, zusammen mit einem Zettel, auf dem stand, sie habe die Sachen versehentlich in seinem Kühlschrank vergessen. Seine Handschrift war exquisit.
    Während die Tage in ruhiger Gleichförmigkeit verstrichen, wurden die Unperson namens Alessio Vianelli und die Natur seiner geheimnisvollen Arbeit im Auftrag des Heiligen Vaters für das Personal der Villa dei Fiori zum Gegenstand heftiger Spekulationen. Margherita, selbst eine launische Natur, hielt ihn für einen Missionar, der unlängst aus irgendeiner unwirtlichen Weltgegend zurückgekehrt war. Anna vermutete in ihm einen gefallenen Priester, der ins umbrische Exil verbannt worden war, doch andererseits neigte Anna dazu, stets das Schlimmste in ihm zu sehen. Isabella, die empfindsame Halbschwedin, die das Gestüt leitete, glaubte, er sei ein einsiedlerischer Theologe, der an einem wichtigen Kirchenpapier arbeite. Carlos, der argentinische Gaucho, der das Vieh hütete, hielt ihn für einen Agenten des Vatikan-Geheimdienstes. Zur Stützung dieser Theorie verwies er auf Signor Vianellis Italienisch, das, obschon flüssig, von einem schwachen Akzent gefärbt sei, der langjährige Aufenthalte im Ausland vermuten lasse. Und dann seien da noch diese Augen mit ihrem verstörenden smaragdgrünen Ton. »Seht in diese Augen, wenn ihr euch traut«, sagte Carlos. »Er hat die Augen eines Mannes, der den Tod kennt.«
    Die zweite Woche brachte eine Reihe von Ereignissen, die das Rätsel nur noch vergrößerten. Das erste war die Ankunft einer groß gewachsenen jungen Frau mit widerspenstigen kastanienbraunen Haaren und karamellfarbenen Augen. Sie hieß Francesca, sprach Italienisch mit ausgeprägt venezianischem
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