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Das Mordkreuz

Das Mordkreuz

Titel: Das Mordkreuz
Autoren: Roman Rausch
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Ornamenten auf den Händen, sogenannten Mehndis.
    Sie mochte den Refrain.
You’re frozen, when your heart is not open
. Ihre Aufmerksamkeit verließ die Straße. Während sie weitersummte, fragte sie sich, in welchem Land diese Verzierungen der Braut auf die Haut gemalt würden. War es Marokko oder Indien? Beim nächsten Afrika-Festival würde sie danach Ausschau halten.
    Ein Schrei holte sie zurück. Woher war er gekommen? Die Antwort stand direkt vor ihr auf der Straße. Eine Frau in einem weißen Kleid. Ihre langen Haare wehten im Wind. Aus ihrem bleichen Gesicht starrten Rosie zwei rote Augen an. Oder waren es die Rücklichter eines vor ihr fahrenden Autos? Die Frau hob die Hände, als wolle sie sich gegen den drohenden Aufprall wehren.
    In dem Augenblick, als Rosie mit ihrem ganzen Körpergewicht auf die Bremse stieg, glaubte sie die Frau weinen zu hören.

2
    Neun Monate später.
    Kilian wälzte sich unruhig im Bett. An seiner Seite schlief Pia davon unberührt. Ein wiederkehrendes Motiv hatte sich ihm in den vergangenen Wochen in sein Unterbewusstsein gegraben.
    Er lag am Strand und hörte aus der Ferne ein Rufen. Es war die Stimme eines Kindes. Obgleich er die Stimme nicht kannte, wusste er, um wen es sich handelte. Er stürzte sich ins Meer und tauchte unter. Hinter einem Felsen fand er den Zugang. Er führte ihn viele Kilometer weg in eine Stadt. Dort kam er an die Wasseroberfläche. Die Passanten kümmerten sich nicht um ihn, und sie beantworteten auch seine drängende Frage nicht, wo er das Krankenhaus finden würde. Hastig lief er weiter. Die Gebäude und Straßen waren ihm völlig unbekannt. Das Schreien des Kindes wurde lauter, verzweifelter und drängender. Niemand interessierte sich dafür.
    In der Straßenbahn kam eine alte Frau auf ihn zu. Sie beschimpfte ihn, wieso er so lange gebraucht habe. An der nächsten Haltestelle wies sie ihm den Weg. Vorbei an dröhnenden Krankenwagen, blutenden Unfallopfern und verwaisten Krankenbetten irrte er in den verschlungenen Gängen dieses Gebäudes umher. Keine der Türen ließ sich öffnen. Das Schwesternzimmer war leer, ein Arzt war nirgends zu sehen. Er stürzte weiter, schrie und bat um Hilfe. Doch hier war niemand, der ihm helfen wollte.
    Dann sah er den ersten Tropfen am Boden. Er fädelte sich zu einer Kette auf, und Kilian folgte der Spur. Sie führte ihnin einen grell erleuchteten Gang, an dessen Ende der Kreißsaal lag. Atemlos versuchte er die Tür zu öffnen. Dahinter hörte er Schreie und die hektischen Kommandos der Ärzte. Doch die Tür blieb ihm verschlossen. Mit der Faust schlug er dagegen. Vergebens.
    Er hörte erst auf, als sich zu seinen nackten Füßen Blut sammelte. Es strömte unter dem Türspalt hervor. Es war das Blut seines Kindes.
    Kilian öffnete die Augen. Pia hatte ihn wachgerüttelt. «Beruhige dich», seufzte sie schlaftrunken, «es ist alles in Ordnung.»
    Dann drehte sie sich wieder um und schlief weiter.
    Zu spät
, hörte er das Echo des Traums in seinem Kopf verhallen. Er stand auf, nahm das T-Shirt vom Stuhl und wischte sich damit den Schweiß ab. Inzwischen konnte er sich schneller von seinem Traum erholen als bei den Malen zuvor. Im Kühlschrank stand eine Wasserflasche, die er mit großen Schlucken zur Hälfte leerte. Die Zigarillos und der Brandy würden sich um den Rest kümmern. Er packte beides und stieg die Wendeltreppe hinauf. Auf dem Flachdach angekommen, setzte er sich an den Bistrotisch. Hier war es ruhig und dunkel. Niemand würde ihn sehen, so wie er war: nackt und verschwitzt.
    Nachdem Pia und er die Dachgeschosswohnung in der Nähe des Sternplatzes gemietet hatten, hatte er diesen Platz zu seinem gemacht. Von hier aus hatte er freien Blick über die Stadt und das Treiben zu seinen Füßen. Zu dieser späten Stunde waren die Straßen jedoch leer. Einzig die heiße Luft, die in den Mauern gespeichert war, drang zu ihm hoch. Das Schwitzwasser der Steine roch modrig.
    Er nahm einen Zug von dem Zigarillo und vergoldete ihn mit Brandy.
    Wie lange soll das noch so weitergehen, fragte er sich. Hatte er sein schlechtes Gewissen nicht schon längst mitseiner Rückkehr nach Würzburg besänftigt? Er hatte sich schließlich gegen seine Freiheit und für eine Familie entschieden. Das konnte nicht jeder von sich behaupten. Viele wären einfach gegangen. Eine alleinerziehende Frau war keine Tragödie mehr. Umso weniger, als es sich bei Pia um eine starke und selbstbewusste Frau handelte.
    Aber das schien nicht das Problem
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