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Das Monster von Bozen

Das Monster von Bozen

Titel: Das Monster von Bozen
Autoren: Burkhard Rüth
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letzten Anstiege hinter sich bringen, ohne Zeitdruck bis zur Kasseler Hütte gehen und erst dort eine längere Rast einlegen. Nach kurzer Zeit kamen sie an einen Fluss, der aufgrund des Schmelzwassers aus den Gipfellagen erheblich angeschwollen war. Eine schmale Holzbrücke ohne Geländer führte auf die andere Seite. »Das ist der Ursprungbach«, erklärte Mantinger. »So reißend ist der selten, das kommt von den Jahrhundertschneemassen aus dem letzten Winter. Seid vorsichtig, wenn ihr über die Brücke geht. Wenn wir drüben sind, machen wir eine kurze Trinkpause, dann nehmen wir uns die beiden letzten Anstiege vor.« Mantinger ging voran, die Übrigen folgten ihm. Achatz wollte warten, bis auch Gemini hinübergegangen war, doch der bedeutete ihm, voranzugehen. Achatz betrat die Brücke, Gemini folgte ihm als Letzter. Er war dicht hinter ihm.
    ***
     
    Auf dem Weg zum Nordgrat des Schneebiger Nock hatten Vincenzo und Hans einige Kletterpassagen und eine senkrechte Leiter zu meistern. An einigen Stellen ging es unter ihnen senkrecht abwärts. Einmal mussten sie eine Felswand queren, die Vincenzo an seinen Klettersteig zur Schwarzensteinhütte erinnerte. Wieder diese Blicke in die Tiefe, wieder diese Eisennägel. Doch diesmal blieben Panikattacken aus. Er bewegte sich viel selbstverständlicher am Drahtseil, auch über die Eisenstifte. Er war sicherer geworden, und das lag nicht allein an Hans Valentins Begleitung. Nach den Kletterpassagen überschritten sie den Rest eines schrumpfenden Gletschers.
    »Ein Gedanke hat mich seit unserer letzten Tour nicht mehr losgelassen, Hans. Wir sind doch über diesen schmalen Eisgrat balanciert. Was wäre eigentlich passiert, wenn ich abgerutscht und runtergefallen wäre?«
    »Nichts.« Hans Valentin lachte, als er in Vincenzos ungläubiges Gesicht blickte. »Wenn du fällst, springe ich auf der anderen Seite runter. Wir sind doch angeseilt. Es kann nichts passieren, wir ziehen uns dann problemlos wieder rauf. Jeder Bergführer beherrscht das.« Vincenzo war verblüfft. Er konnte sich nicht vorstellen, dass jemand freiwillig von einem Grat springt, egal, ob angeseilt oder nicht. »Willst mir weismachen, dass du aus freien Stücken von einem Grat runterspringen würdest?«
    »Das musste ich schon während der Bergführerausbildung machen. Weißt du, was? Wenn wir uns das nächste Mal treffen, bringe ich dir ein paar Grundregeln jenseits der Klettersteige bei. Dann springst du auch von einem Eisgrat runter oder in eine Gletscherspalte. Du wirst sehen, das macht richtig Spaß, wenn du deine Angst erst mal überwunden hast. Auch das Abseilen ist ein irres Gefühl. Wir machen das anfangs an Übungswänden. Wenn du sattelfest bist, besteigen wir eine der Drei Zinnen. Danach wirst du über den Klettersteig zur Schwarzensteinhütte nur noch müde lächeln. Mit solchen technischen Fähigkeiten kannst du dir eine Bergwelt erschließen, die dir noch unbekannt ist. Es gibt nämlich nicht nur in Südtirol Berge. Vielleicht stehen wir irgendwann einmal zusammen auf sechs- oder siebentausend Metern. Wie ich dich inzwischen einschätze, würde dich das persönlich weiterbringen.«
    Hans’ Worte schmeichelten ihm zwar, aber er musste wieder an seine letzte Klettersteigerfahrung denken. Ihm war klar, dass der Leistungssprung von diesem Schwierigkeitsgrad bis zu einem Siebentausender ungefähr so groß war wie der von einem Sonntagsspaziergang zum Triathlon. Nein, er würde nie eine solche Höhe erreichen, auch wenn ihn dieser Gedanke faszinierte. Dafür hätte er viel früher mit dem Klettern anfangen müssen.
    ***
     
    Sie waren in der Mitte der Brücke angekommen, Gemini ging unmittelbar hinter Achatz. Die anderen waren schon drüben, bogen gerade um die nächste Kehre. Achatz fühlte sich unbehaglich wegen der fehlenden Geländer, vor allem jedoch, weil Gemini hinter ihm war. Ausgerechnet Gemini.
    Als Achatz sich zu ihm umdrehen wollte, rutschte er auf den glitschigen Holzbohlen aus. Mit rudernden Armen versuchte er vergeblich, das Gleichgewicht zu halten. Gemini machte einen schnellen Schritt auf ihn zu und fasste ihn am rechten Arm. Das war’s , dachte Achatz.
    Doch Gemini zog ihn auf die Mitte der Brücke zurück. Vorwurfsvoll sah er ihn an. »Mein Gott, Achatz, sind Sie verrückt? An solchen Stellen müssen Sie höllisch aufpassen! Haben Sie eine Vorstellung, was passiert, wenn Sie da reinfallen?«
    Achatz’ Puls hatte sich rapide beschleunigt. Er spürte ein Stechen in der Brust. Es
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