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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman
Autoren: Amitav Ghosh
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als der Serang einen Strom blutroten Safts über Bord spie, fiel ihm auf, dass das Wasser unten von Haifischflossen aufgewühlt wurde. Wie harmlos konnte dieses Betel-Zeug sein, wenn sogar ein Hai es mit Blut verwechselte?
    Die Aussicht darauf, mit dieser Mannschaft nach Indien zu segeln, war so unerquicklich, dass der Erste Steuermann ebenfalls verschwand; so eilig hatte er es, von Bord zu kommen, dass er einen Sack Kleider zurückließ. Als man dem Kapitän
sagte, dass der Steuermann abgehauen sei, knurrte er: »Hat die Leine gekappt, ja? Kann’s ihm nicht mal verdenken. Ich wär auch längst auf und davon, wenn ich mein Geld schon hätte.«
    Der nächste Anlaufhafen der Ibis sollte die Insel Mauritius sein, wo sie ihre Getreideladung löschen und Ebenholz und anderes Hartholz an Bord nehmen sollte. Da sich bis zum Auslaufen kein anderer Seeoffizier auftreiben ließ, musste Zachary als Erster Steuermann einspringen. So kam es, dass er infolge von Desertion und Sterbefällen im Lauf einer einzigen Überfahrt vom bloßen Schiffszimmermann zum zweiten Mann an Bord mit eigener Kajüte aufstieg. Das einzig Traurige an seinem Umzug vom Vorschiff nach mittschiffs war, dass dabei seine geliebte Blechflöte verschwand und nicht mehr aufzufinden war.
    Bis dahin hatte Zachary auf Weisung des Kapitäns seine Mahlzeiten unter Deck eingenommen – »ich will keine Farbe an meinem Tisch, auch wenn’s bloß ein mattes Gelb ist«. Jetzt aber speiste er nicht mehr allein, sondern bestand darauf, dass Zachary sich zu ihm an den Tisch in seiner kleinen Kajüte setzte, wo sie von einer ansehnlichen Schar Laskaren-Schiffsjungen bedient wurden.
    Kaum waren sie unter Segeln, da musste Zachary schon wieder einen Lehrgang absolvieren, diesmal hinsichtlich der Sitten und Gebräuche der neuen Mannschaft. Anstelle der üblichen Karten spielten die Männer jetzt auf aus Leinen improvisierten Brettern pachīsī , die vertrauten fröhlichen Shantys erklangen in ganz neuen, wüsten und disharmonischen Melodien, und allmählich roch es sogar anders an Bord, nach allen möglichen fremdartigen Gewürzen. Da Zachary neuerdings für die Vorräte zuständig war, musste er sich mit neuartigem Proviant vertraut machen, der nichts mehr mit dem gewohnten
Schiffszwieback und Pökelfleisch gemein hatte. Und er musste lernen, resum anstelle von Ration zu sagen, und seine Zunge an wildfremde Wörter wie dāl, masālā und achār gewöhnen. Anstelle des normalen englischen Worts für »Steuermann« musste er »Malum« sagen, der Bootsmann hieß nun »Serang«, der Bootsmannsmaat »Tindal« und der Rudergänger »Seacunny«. Eine Unmenge neuer seemännischer Vokabeln musste er sich einprägen, die vage ans Englische erinnerten, aber doch ganz anders klangen: Das »Rigg« hieß nicht mehr rigging , sondern ringīn , aus avast! für »halt!« wurde bas! , und der Ruf der Vormittagswache lautete nicht mehr all’s well , sondern alzbel . Aus dem Deck wurde tūtak , die Masten waren dols , ein Kommando war ein hukam , und anstelle von »Steuerbord« und »Backbord«, »vorn« und »achtern« musste er jamanā und dāvā , āgil und pīchhil sagen.
    Unverändert blieb die Einteilung der Mannschaft in zwei Wachen, jede unter der Leitung eines Tindals. Die meisten Aufgaben an Bord oblagen den beiden Tindals, und Serang Ali ließ sich die ersten beiden Tage kaum blicken. Doch als Zachary am dritten im Morgengrauen an Deck kam, schallte ihm ein fröhliches »Chin-chin, Malum Zikri!« entgegen. »Schnappi Ham-ham? Was vor Zeug hab in-drin?«
    Im ersten Moment war Zachary verblüfft, doch bald stellte er fest, dass er ungewohnt zwanglos mit dem Serang sprechen konnte: Es war, als würde dessen seltsame Sprache seine eigene Zunge lösen. »Serang Ali, wo kommst du her?«, fragte er.
    »Serang Ali Rohingya – aus Arakan.«
    »Und wo hast du so reden gelernt?«
    »Opiumschiff«, lautete die Antwort. »China-Land Yankee- Gentlem immer so red. Auch Kadetts wie Malum Zikri.«
    »Ich bin kein Kadett«, stellte Zachary richtig. »Hab als Schiffszimmermann angeheuert.«

    »Machnix«, sagte der Serang in väterlich-nachsichtigem Tonfall. »Machnix: All selb-selb. Malum Zikri fix-fix eins-a Gentlem. Wie is: Schon schnappi Weif?«
    »Nein«, lachte Zachary. »Und du? Serang Ali schon schnappi Weif?«
    »Serang Ali Weif hab mach sterb«, kam die Antwort. »Geh Himmel auf-auf. Komm Zeit, Serang Ali schnapp ander Stuk Weif …«
    Eine Woche später trat Serang Ali erneut an Zachary
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