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Das Meer wird dein Leichentuch

Das Meer wird dein Leichentuch

Titel: Das Meer wird dein Leichentuch
Autoren: Melanie Maine
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Maestro di Figaro fertig war, stieß Astor einen erstaunten Pfiff aus. Und ich erkannte mich im Spiegel selbst nicht wieder.
     
    Während sich Madeleine durch einen Steward das Abendessen in die Suite bringen ließ, betrat ich an John Jacob Astors Seite den Speisesaal. Madeleines Ehemann überragte mich um einen halben Kopf. Er war schlank und seine Bewegungen waren geschmeidig wie die einer Katze. Er war eine imponierende Erscheinung und das schmale Gesicht, mit dem gepflegten, brauen Haar und dem markanten, etwas buschigem Oberlippenbart stellte, das absolute männliche Schönheitsideal jener Zeit dar.
     
    Wer einmal in die tiefen, melancholischen Augen Astors geblickt hatte, konnte sie nie mehr vergessen. Doch die gleichen Augen glitzerten wie kalter Stahl, wenn es um Geschäfte ging.
     
    Denn der Mann, der jetzt in tadellos sitzendem Abendanzug mit schwarzen Lackschuhen neben mir schritt, dirigierte sein Wirtschaftsimperium auch von der Titanic aus. Ständig musste Andrew Hopkins kurze, knappe Anweisungen hinauf zur Funker-Kabine bringen, die als teure Telegramme nach New York, London oder Paris gekabelt wurden. Über die Kurse an den Börsen ließ er sich stets über Funk auf dem Laufenden halten.
     
    Mister Astor hatte mir gesagt, dass er bereits am Nachmittag im Palmengarten einige Leute informiert habe, dass er nicht in Madeleines Begleitung zum abendlichen Dinner erschien. Doch es gab immer noch viele der Anwesenden im Speisesaal der Ersten Klasse, die nichts davon wussten.
     
    Das Getuschel um uns herum zerrte an meinen Nerven. So gut es ging bewahrte ich die Haltung und ließ mich von Astor zum Tisch des Kapitäns führen. Dort waren für ihn zwei Plätze reserviert. Denn der Kapitän gab sich die Ehre, seine Mahlzeiten nur in Gesellschaft der reichsten Passagiere einzunehmen.
     
    Kapitän Edward Smith hatte die Gestalt eines würdigen Patriarchen. Sein Leben lang hatte er die größten Schiffe auf allen Weltmeeren sicher ans Ziel geführt. Die Jungfernfahrt der Titanic sollte seine letzte Reise werden, bevor er sich zur Ruhe setzte. Kapitän Smith war von untersetzter Gestalt und in den dunkelblauen Augen paarten sich Güte und Entschlossenheit. Mit dem eisgrauen Haar und dem dichten Vollbart war es das Musterbeispiel eines auf tausend Fahrten ergrauten Seemannes. Das Licht aus den Kronleuchtern ließ die Knöpfe und die goldenen Rangabzeichen an seiner weißen Uniform glänzen.
    Neben dem Kapitän saß Benjamin Guggenheim aus Philadelphia, dessen Vermögen fast an das von John Jacob Astor heranreichte. Er war der Besitzer des größten Blei-, Silber- und Kupferimperiums der Vereinigten Staaten.
     
    Die Klatschspalten aller Zeitungen waren voll von den Eskapaden dieses exzentrischen Milliardärs. Er erhob sich leicht und gab mir mit liebenswürdiger Miene die Hand, als ich ihm vorgestellt wurde. Aber ich spürte, wie mich der Blick dieses verwöhnten Lebemannes bereits auszog. Benjamin Guggenheim war dafür bekannt, dass keine Frau seinem natürlichen Charme widerstehen konnte. Die ganze Welt war sein zu Hause. Wohin er kam, lagen ihm die Frauen zu Füßen. Aber wenn er ging, ließ er zerbrochene Herzen hinter sich und lachte darüber.
     
    Die quadratischen Tische im Speisesaal waren für acht Personen bemessen. Zu ihnen gehörten Mr. Isidor Strauß, dem millionenschweren Besitzer der amerikanischen Kaufhauskette Macys und seine Frau Ida. Die beiden grauhaarigen Alten waren trotz aller Freundlichkeit von würdevoller Zurückhaltung. Isidor Strauß glich mit seinem schlohweißem Haarkranz und dem sorgfältig gepflegtem Bart einem der Patriarchen des alten Testaments. Seine Frau Ida war eine würdige Matrone mit gepflegtem Äußeren. Stets sah man das Ehepaar Strauß an Bord nur gemeinsam. Und auch, als sich der Tod über sie senkte, waren sie nicht zu trennen. Gemeinsam gingen sie durch das dunkle Tor in die Jenseits-Welt. Wenn es jemals ein Vorbild für wahre Liebe bis ins hohe Alter gegeben hat, dann sind es Ida und Isidor Strauß.
     
    Die beiden anderen Plätze wurden vom White-Star-Präsidenten Bruce Ismay und einer gewissen Molly Brown belegt. Mrs. Brown gehörten große Goldmienen in Colorado und sie erzählte gern, dass sie selbst als junges Mädchen noch am Fluss Gold gewaschen hatte. „Goldgräber-Molly“ nannte sie Astor, der ihre Geschichten kannte. Molly Brown legte keinen besonderen Wert auf Etikette und plauderte fröhlich drauf los. Trotz ihres Reichtums war sie das einfache
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