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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus
Autoren: Paulus Hochgatterer
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Mädchen beim Doktorspielen in der Puppenecke angeboten, es dürfe seinen Penis anfassen, woraufhin die Mutter des Mädchens einigermaßen empört von sexuellem Missbrauch und Vernachlässigung der Aufsichtspflicht gesprochen habe. Komischerweise sei die Frau am Ende vor allem durch das Argument zu beruhigen gewesen, es schade gar nichts, wenn ein Mädchen zeitgerecht wisse, wie sich ein Penis anfühle, das stärke das Selbstbewusstsein. Kovacs merkte, wie ihn die Routine, in der diese ältliche Kindergärtnerin über Sexualität sprach, irritierte, und er versuchte sich einen Mann neben ihr vorzustellen. Dann fragte er sich plötzlich, ob Charlotte schon jemals einen Penis in der Hand gehabt hatte.
    Mauritz traf gleichzeitig mit Erika Oleschowsky ein. Er war knallrot im Gesicht. »Was ist los? Du kriegst ja noch weniger Luft als sonst«, sagte Kovacs. »Ein schneller Kaffee geht sich aus«, antwortete Mauritz und stützte sich an der Wand ab. Er wolle jetzt bitte nichts hören von Verspätung oder noch ein Spiegelei , sagte er, dies sei ein Scheißkarsamstag, ganz eindeutig. Die beiden Damen nickten bestätigend. Erika Oleschowsky goss Kaffee in Plastiktassen. Ansonsten trinken Kinder draus, dachte Kovacs, und danach bauen sie Lego-Häuser, frisieren Puppen und lassen Pokémon-Figuren aufeinander losgehen.
    Er sei durch die Seestraße in Richtung Rathausplatz gefahren, erzählte Mauritz, gemächliches Tempo, feiertagsadäquat sozusagen, und plötzlich sei da dieses Auto in der Spielwarenhandlung Ellert gestanden. Autos stünden in großer Regelmäßigkeit in Spielwarengeschäften, sagte Kovacs, sogar er habe als Kind in der Spielwarenhandlung Heinisch in Bruck an der Mur einen grünen Matchbox-Lamborghini gekauft. Er habe mit einem aus der Geldbörse seines Vaters gestohlenen Zwanzig-Schilling-Schein bezahlt, und obwohl er ewig von Schuldgefühlen geplagt worden sei, habe er den Wagen geliebt. »Es ist eine Art Kleintransporter«, sagte Mauritz und rührte Zucker in den Kaffee, »unmögliche Karosserie, hässliche Farbe, Behindertenplakette, eine hydraulische Plattform im Heck.« Das Auto sei offenbar mit großer Wucht im Rückwärtsgang durch die Glasfläche der Straßenfront gefahren worden und erst mitten im Geschäftslokal zum Stehen gekommen. Es scheine allerhand zerstört zu haben, aber er habe keine Zeit gehabt, sich den Schaden im Detail anzuschauen. Er habe das Band gespannt, mehrfach, und das Wachzimmer angerufen. Keiner habe bis dahin den Unfall gemeldet gehabt. »Unfall?«, fragte Kovacs. »Unfall, Vorfall, Einbruch, ist doch egal«, sagte Mauritz. Jürgensen sei gekommen, er habe ihn gerade noch erwischt, bevor er außer Dienst gegangen sei. Er stehe jetzt dort herum, schlafe im Stehen und warte, dass jemand den Tatort aufnehme. Erst Unfall, dann Tatort, das sei inkonsequent, sagte Kovacs. Mauritz kippte seine Tasse und drückte sie Frau Oleschowsky in die Hand. »Du bist ein Wortklauber!«, beschwerte er sich, »willst du ihn sehen?«
    »Wen?«
    »Den Tatort.«
    »Gewisse Zufälle gibt es nicht«, sagte Kovacs, bevor sie in Mauritz’ Renault stiegen. »Du meinst Kindergarten plus Spielwarenhandlung zum selben Zeitpunkt?«, fragte Mauritz. »Wer macht so etwas?« Kovacs dachte an das frisch gebügelte Hemd in dem renovierten Haus bei Sankt Christoph, an den lila Abdruck im Gesicht des Mädchens und an Relaxo. Dann dachte er an die exakt begrenzten Blumenbeete in dem Vorgarten und daran, wie Sabine Wieck sich danach die Hände waschen musste. »Einer, der Probleme mit seiner Kindheit hat«, sagte er.
    »Ich war immer der Dicke«, sagte Mauritz nach einer Weile. »Was heißt war ?«, fragte Kovacs. Mauritz lachte. Er meine seine Kindergartenzeit. Er sei immer der Dicke gewesen und von Anfang an Mauritz, so, als sei das sein Vorname. Mauritz kann nicht so schnell , wartet bitte auf Mauritz – das seien die Sätze gewesen, die er aus dem Mund der beiden Kindergärtnerinnen gehört habe, täglich. Tante Frieda und Tante Berta, genau. Wie heißt er verdammt noch mal mit Vornamen?, überlegte Kovacs. Natürlich habe ihn das manchmal gestört, sagte Mauritz, aber die Verwüstung seines Kindergartens aus Rache sei nie wirklich in Frage gekommen. Außerdem sei er einmal schneller oben auf dem Klettergerüst gewesen als Christian Rametsteiner. Der sei mit seiner Hose an einem Holzspan hängen geblieben, aber da habe er halt Pech gehabt. Engelbert, dachte Kovacs, so heißt er, Engelbert.
    Die
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