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Das Magdalena-Evangelium: Roman

Das Magdalena-Evangelium: Roman

Titel: Das Magdalena-Evangelium: Roman
Autoren: Kathleen McGowan
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jeweiligen Sabbat vorzubereiten. Die Christen wanderten über die Via Dolorosa, den Leidensweg, eine Reihe gewundener Kopfsteinpflasterstraßen, welche den Weg zur Kreuzigungsstätte markierten. Hier hatte ein geschundener und blutender Jesus Christus sein Kreuz geschultert und sich zur Erfüllung seines göttlichen Schicksals nach Golgatha hinaufgeschleppt.
    An diesem Herbstnachmittag unterschied sich die amerikanische Autorin Maureen Paschal nicht im Mindesten von den anderen Pilgern, die aus allen Winkeln der Erde hierhergekommen waren. Die berauschende Septemberbrise mischte den Duft brutzelnder Fleischspieße mit den Gerüchen exotischer Öle, die von den alten Märkten heraufwehten. Maureen ließ sich durch die alle Sinne überwältigende Flut treiben, die so typisch für Israel war, und drückte sich einen Reiseführer an die Brust, den sie bei einer christlichen Organisation übers Internet gekauft hatte. Der Reiseführer beschrieb den Kreuzweg in allen Einzelheiten, komplett mit Karten und Hinweisen auf die vierzehn Stationen des Weges.
    »Lady, Sie wollen Rosenkranz? Holz vom Ölberg?«
    »Lady, Sie wollen Führer? Sie nie wieder verirren. Ich Ihnen alles zeigen.«
    Wie die meisten westlichen Frauen war auch Maureen gezwungen, die Annäherungsversuche der Straßenhändler abzuwehren. Einige waren geradezu unerbittlich in ihrem Bestreben, ihre Waren oder Dienste an den Mann beziehungsweise die Frau zu bringen. Andere wiederum fühlten sich schlicht von der kleinen Frau mit den langen roten Haaren und der hellen Haut angezogen, eine in diesem Teil der Welt seltene und exotische Kombination. Maureen wehrte ihre Verfolger mit einem höflichen, aber entschlossenen »Nein, danke!« ab. Dann beendete sie den Augenkontakt mit dem Betreffenden und ging einfach weiter.
    Ihr Cousin Peter, ein Experte für alte Schriften, hatte sie auf die Kultur der Altstadt vorbereitet. Maureen war ausgesprochen gewissenhaft, was selbst die kleinsten Kleinigkeiten ihrer Arbeit betraf, und so hatte sie auch die Sitten Jerusalems sorgfältig studiert. Bis jetzt hatte sich das auch ausgezahlt, und Maureen war es gelungen, Ablenkungen auf ein Minimum zu reduzieren, sodass sie sich voll auf ihre Forschungen konzentrieren und jedes Detail und jede Beobachtung in ihr kleines Notizbuch mit dem Ledereinband schreiben konnte.
    Sie war zu Tränen gerührt gewesen von der Intensität und Schönheit der siebenhundert Jahre alten Franziskanerkapelle an der Stelle, wo Jesus der Überlieferung nach gegeißelt worden war. Es war eine ganz unerwartete Gefühlsaufwallung gewesen, zumal Maureen nicht als Pilgerin nach Jerusalem gekommen war. Vielmehr kam sie zu Forschungszwecken, als Autorin auf der Suche nach einem genauen historischen Hintergrund für ihre Arbeit. Zwar suchte auch Maureen ein tieferes Verständnis für die Ereignisse des Karfreitags zu erlangen, aber sie ging diese Suche mit dem Kopf und nicht mit dem Herzen an.
    Sie besuchte den Konvent der Schwestern von Sion, bevorsie zu der benachbarten Kapelle der Verurteilung hinüberging, dem legendären Ort, wo Jesus, nachdem Pilatus das Urteil über ihn gefällt hatte, das Kreuz auf seine Schultern nahm. Wiederum wurde der unerwartete Kloß in ihrer Kehle von einem überwältigenden Gefühl der Trauer begleitet, als sie durch das Gebäude schritt. Steingehauene Reliefs in Lebensgröße gaben die Ereignisse eines schrecklichen Morgens vor zweitausend Jahren wieder. Maureen stand wie gebannt vor einer lebendigen Szene tiefer Menschlichkeit; sie zeigt, wie einer der Jünger Maria, die Mutter des Herrn, vor dem Anblick ihres Sohnes mit dem Kreuz bewahren wollte. Die Tränen traten Maureen in die Augen, als sie vor dem Bild stand. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass ihr diese überlebensgroßen historischen Gestalten als wirkliche Menschen aus Fleisch und Blut erschienen, die ein Erlebnis von nahezu unvorstellbarer Qual durchlitten.
    Einen Augenblick wurde ihr schwindlig, und sie musste sich mit einer Hand an den kalten Steinen einer alten Mauer abstützen. Sie hielt inne, um sich zu orientieren, bevor sie weitere Notizen über die Bauwerke und die Skulpturen machte.
    Weiter führte ihr Weg, doch die labyrinthischen Straßen der Altstadt erwiesen sich als tückisch, selbst mit einem genauen Stadtplan in der Hand. Die Orientierungspunkte waren oft antik und dementsprechend verfallen; wenn man nicht genau wusste, wo sie sich befanden, konnte man sie leicht übersehen. Maureen fluchte leise vor
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