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Das Maedchen mit dem Stahlkorsett

Titel: Das Maedchen mit dem Stahlkorsett
Autoren: Kady Cross
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dieses Erlebnis bei Weitem das schlimmste war. Sie hatte die Anstellungen wegen ihres Verhaltens verloren, sobald sich dieses Ding in ihr Bahn gebrochen hatte. Dieser Drang, auf eine Weise zu handeln, die alles andere als zivilisiert war und weit über das hinausging, was eine junge Frau hätte ausrichten können.
    Hierfür würde sie die ganze Strenge des Gesetzes zu spüren bekommen. Man würde sie einsperren oder – noch schlimmer – in St. Mary of New Bethlehem zu Experimenten benutzen. In Bedlam, im Irrenhaus. Ja, genau dort würden sie mit ihr Versuche anstellen, sobald sie herausfanden, dass sie nicht normal war. Sie hatte schreckliche Geschichten über die Ärzte und das gehört, was sie ihren »Patienten« antaten. Lieber wollte sie sterben, als so zu enden.
    Lauf weg, flüsterte die Stimme in ihr. Es war ihre eigene, wie sie jetzt erkannte. Lauf weg.
    Sie hatte sich in die Bredouille gebracht, weil sie auf die Stimme gehört hatte. Vielleicht würde sie dadurch auch wieder herauskommen.
    Lord Felix würde natürlich eine Wiedergutmachung von ihr fordern, weil sie ihn verletzt hatte – entweder, indem er vollendete, was er begonnen hatte, oder indem er sie der Polizei übergab. Keinesfalls wollte sie ihn tun lassen, was er vorgehabt hatte. Andererseits wollte sie sich auch nicht das Gehirn zerlegen lassen, nur weil sie ihm weniger gegeben hatte, als er eigentlich verdient hätte.
    Also hörte Finley auf die Stimme und rannte weg.
    Tief über die schimmernde Lenkstange des Velozipeds gebeugt, sauste Griffin King im Regen durch den dunklen Hyde Park und spürte einen Sekundenbruchteil, ehe sie vor ihm auf den Weg rannte, eine winzige Warnung im Äther. Die eintätowierten Runen, die seine Sinne und Fähigkeiten verstärkten, brannten heiß und machten ihn gerade noch rechtzeitig auf die Gefahr aufmerksam.
    Er riss die Lenkstange herum und wich aus, um das Mädchen nicht anzufahren, doch es war zu spät. Der Scheinwerferkegel erfasste ihr überraschtes Gesicht, und dann flog sie auch schon durch die Luft, während er versuchte, nicht die Kontrolle über das Fahrzeug zu verlieren. Er scheiterte kläglich. Das Profil der Räder schürfte tiefe Spuren in den Kies, bis das Velo zur Seite kippte, ihn abwarf und einige Schritte weiter liegen blieb.
    Der Ledermantel schützte ihn vor den scharfkantigen Steinchen, als er sich überschlug und über den unebenen Boden rutschte. Schließlich landete er, alle viere von sich gestreckt, im nassen Gras und blieb einen Moment lang liegen, um den Dreck auszuspucken, der ihm in den Mund geraten war. Langsam kam er wieder zu Atem.
    »Ist sie verletzt?«, fragte er, während er vorsichtig aufstand und sich Erde und Gras von der Kleidung klopfte. Er hatte sich zwar nichts gebrochen, fühlte sich aber, als hätte er eine Ziegelmauer gerammt. Die entsprechenden blauen Flecken würden sich am folgenden Tag zeigen.
    Im Lichtschein des zweiten Velos – es war nicht umgestürzt und inzwischen auf dem Ständer gesichert – kniete sein Freund Sam Morgan bereits vor dem hingestreckten Mädchen. Aus diesem Blickwinkel konnte Griff hinter Sams breitem Rücken nur zwei lange Beine erkennen, die in hohen Lederstiefeln mit dicken Sohlen steckten, und dazu die orangefarben und schwarz geringelten Strümpfe. Die Kleidung einer Dienerin.
    Griff war achtzehn und damit in einem Alter, in dem er sich vor allem darum hätte sorgen sollen, ob sein Taschengeld für das kommende Schuljahr in Oxford ausreichte. Nach dem Tod seiner Eltern war er jedoch bereits mit fünfzehn der Duke of Greythorne geworden und wusste daher ganz genau, was Diener trugen, zumal er erst kürzlich neues Personal eingestellt hatte. Es gab einige Arbeiten, die Maschinen nicht verrichten konnten oder sollten und für die man daher einen ganzen Schwarm von menschlichen Angestellten beschäftigen musste. Die jeweiligen Aufgaben waren an den Uniformen zu erkennen. Orange und Schwarz bedeuteten, dass dieses Mädchen die Kammerdienerin einer Lady war. Eine viel zu herausgehobene Position, als dass sie zu dieser Nachtzeit hätte allein draußen herumlaufen dürfen.
    »Sam?«, fragte er und näherte sich den beiden humpelnd. »Ist ihr etwas passiert?«
    »Sie hat einen Puls«, drang die leise Stimme seines Freundes unter der tropfenden Hutkrempe hervor. »Stabil zwar, aber sie blutet. Du übrigens auch.«
    Griff zog die verschmierte Schutzbrille herunter, bis sie lose am Hals hing, und betrachtete sich selbst. Das Blut, das
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