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Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman

Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman

Titel: Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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nicht mitgehen, denn am nächsten Morgen kommt alles ganz anders. Himmelsstachel, der Chauffeur des Goldenen Drachen, holt die junge Frau mit dem schwarzen BMW seines Dienstherrn ab und fährt sie zur Arbeit. Tubai darf seine Frau noch nicht einmal zur Haustür begleiten. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als mit einem sehnsüchtigen Blick vom Fenster aus zuzusehen, wie Mendy mit ihren Stöckelschuhen über den Hof geht und in der Ausfahrt verschwindet.
    Tagsüber beschäftigt er sich weiter mit der Innenausstattung des Restaurants. Denn er weiß, solange die Strahlende Perle geschlossen bleibt, so lange wächst der Schuldenberg weiter. Am Abend kocht er ein feines Essen, um Mendy den ersten Arbeitstag zu versüßen. Um sieben Uhr ist er mit Kochen fertig. Doch seine Frau ist noch immer nicht da. Genauso wenig um acht. Stattdessen klingelt das Telefon. Mendy teilt ihm in kurzen Sätzen mit, der erste Arbeitstag sei gut gelaufen. Aber sie werde nach der Arbeit abgeholt und könne heute nicht nach Hause kommen. Er solle nicht auf sie warten.
    Mendys Stimme klingt wie immer vertraut und betörend. Doch Tubai hat das Gefühl, dass sie auch etwas erstickt und gehetzt klingt, als hätte sie vorher geweint. Sie zappelt wie ein Vogel in einem Käfig aus Glas, und er ist wie ein hässlicher, dummer Maulwurf, der nicht weiß, wie er sie befreien soll. Ein Gefühl der Ohnmacht lähmt seine Glieder. Er beißt sich auf die Fäuste, bis das Blut fließt und der Schmerz groß genug ist. Solange Mendy bei einem anderen Mann ist, wird er keine Ruhe finden.
    Erst am nächsten Abend ist Mendy wieder zu Hause. Sie kommt direkt von der Arbeit und sieht erschöpft aus. In Tubais Richtung schickt sie ein Lächeln, doch sie berührt ihn nicht, sondern bleibt auf Distanz. Was Tubai als Erstes auffällt, ist, dass sie ein Kleid trägt, das er überhaupt nicht kennt. Zu seinem Kummer muss er zugeben, dass es ihr sehr gut steht. Man sieht sofort, dass es keine billige Ware ist. Auch die Kette anihrem Hals ist neu. Tubai hat das Gefühl, als schnüre ihm ein Python den Körper zusammen.
    »Wo ist dein Kostüm geblieben?«, fragt er mit tonloser Stimme.
    »Ah, ich muss heute zu einer Party«, erklärt Mendy erschöpft. Sie hat sich an ihren Schreibtisch gesetzt und kramt gerade in ihrem Schmuckkästchen. So, wie es aussieht, hat sie nicht das gefunden, was sie sucht. Sie blickt nervös um sich und merkt, dass Tubais Hand blutig ist.
    »Hast du dich mit jemandem geprügelt?«
    Tubai versteckt die Hand und tut so, als ob nichts wäre. Aber Mendy ahnt, was ihn quält. »Wenn ich ein wenig Geld verdient habe«, sagt sie, »dann gehen wir woandershin, an einen besseren Ort, und fangen noch einmal ganz neu an.«
    »Nein, es gibt keinen heilen Ort auf der Erde«, sagt Tubai kalt. Obwohl sie dicht neben ihm sitzt, rührt er sie nicht an. »Du musst doch bei deiner Bank bleiben, und ich will bei dir bleiben. Ich bin mir ganz sicher: Die Strahlende Perle wird unser Glück.«
    »Wir bleiben für immer zusammen, Tubai. Aber du musst noch Geduld haben.« Ehe sie weitersprechen kann, klingelt auch schon ihr Handy. Es heißt, das Auto warte unten auf sie, um sie zum Friseur zu bringen.
    Auch wenn ihr manche Stunden wie Jahre vorkommen, irgendwann hat die Qual ein Ende. Mendys Herz hüpft bis zum Hals, als es Mitternacht schlägt. Die Stunde null! Die vereinbarte Zeit für den Liebesdienstbei Boss Hong ist vorbei. Sie ist jetzt frei, frei wie ein Vogel. Und sie darf wieder fliegen, wohin sie will. Am liebsten möchte sie aus der Wohnung stürmen und durch die nächtliche Stadt tanzen, um ihre wiedergewonnene Freiheit zu feiern.
    Doch sie beherrscht sich und bleibt still liegen. Die Freiheit liegt zwar vor der Tür, aber sie muss noch dahin gelangen. Ob sie das schaffen wird? Ob der Goldene Drache sie gehen lassen wird? Alles ist ungewiss.
    Neben ihr schnarcht der Mann mit offenem Mund und schlappen, wulstigen Lippen vor sich hin und scheint keine Ahnung von ihren Gefühlen und Ängsten zu haben. Gegen fünf Uhr wacht er auf, weil ihn die Blase drückt. Als er vom Bad zurückkommt, sitzt Mendy am Bettrand und angelt nach ihrer Kleidung. Ihr strahlendes Gesicht ist wie ein Stachel in seiner Seele.
    »Täubchen, willst du schon gehen? Es ist doch noch Schlafenszeit«, sagt er.
    »Die Sonne steht bald vorm Fenster, der Tag rattert durch die Luft, und die Arbeit ruft. Ich kann nicht mehr schlafen.« In jedem ihrer Worte hüpft die Freude wie ein elastisches Bällchen
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