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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
Autoren: Luca Di Fulvio
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eine Haut, die unter einer dicken Schmutzschicht alabasterweiße Zartheit vermuten ließ. Shimon Baruch musste bei ihrem Anblick an die Erzählung von Susanna im Buche des Propheten Daniel denken, die von den beiden alten Richtern bedrängt wurde.
    »Haut ab, ihr Schlampen, sonst schmeiße ich euch auch noch in den Bottich«, rief einer der Sträflinge vom Dreckkarren und machte mit der Schaufel in der Hand ein paar Schritte auf die Fischabfälle zu. Die Soldaten lachten laut und bedeuteten den Frauen, dass sie sich entfernen sollten.
    Shimon Baruch eilte mit gesenktem Kopf auf das Marcellustheater zu, dort würde er endlich sein Geld in Sicherheit wissen. Doch dann wandte er sich noch einmal um, um einen letzten Blick auf das hübsche Mädchen mit dem Kupferhaar zu werfen. Dabei bemerkte er, wie sie zu einem zerlumpten kleinen Jungen mit einer ungesund gelblichen Gesichtsfarbe hinübersah, dessen lange Haare so schmutzig waren, dass sie am Kopf klebten. Er saß etwas abseits bei den Ruinen des Portikus der Octavia und warf mit Steinen nach einer Brennnesseln und Glaskraut fressenden Ziege. Einen Moment lang kam es Shimon Baruch so vor, als habe er den Jungen schon einmal gesehen, vielleicht sogar an diesem Morgen auf dem Seilmarkt. Als er zu ihm hinüberschaute und sich dabei instinktiv noch kleiner machte, fing der Junge seinen Blick auf und rief ihm zu: »Euer Hut ist aus gutem Stoff, Herr Jude! Möge Euer Reichtum erblühen!«
    Schnell wandte sich Shimon Baruch ab und sah nun, dass ein grobschlächtiger junger Kerl, der vorher mit etwas dümmlichem Gesicht an der Mauer auf der anderen Seite des Platzes gelehnt hatte, mit ausgestreckter Hand auf ihn zu rannte. Ein Riese mit dichtem, strohblondem Haar, dessen Ansatz so tief lag, dass fast die ganze Stirn darunter verschwand. Er war in Lumpen gehüllt und bewegte sich linkisch auf seinen kräftigen, kurzen Beinen, sein untersetzter Leib schwankte dabei unsicher hin und her. Auch seine Arme waren unverhältnismäßig kurz. Er sieht aus wie ein Riesenzwerg, schoss es dem Kaufmann durch den Kopf. Shimon sah ihm gleich an, dass er schwachsinnig war, und erhielt die Bestätigung dafür, als der Riese ängstlich die Augen aufriss, als fürchtete er, verprügelt zu werden, und ihn mit heiserer, eintöniger Stimme in einer eigentümlich vernuschelten Sprache anredete: »Gebt Münschen, Herr … Scheid scho gud und gebt ein baar Münschen der Barmherschischkeit, ehrwürdigschter Herr.«
    »Verschwinde«, erwiderte der Kaufmann hastig und wedelte mit einer Hand durch die Luft, als wollte er eine lästige Fliege verjagen.
    Der Riese hob schützend die Hände vors Gesicht, blieb aber trotzdem wie angewurzelt stehen und wiederholte: »Eine Münsche, allerehrwürdigschter Herr … nur eine einschige Münsche.« Und dann packte er ihn genau vor der Fassade der Kirche Sant’Angelo kraftvoll am Arm.
    Shimon Baruch zuckte erschrocken zusammen. »Nimm deine dreckigen Hände von mir!«, knurrte er den Riesenzwerg an und versuchte dabei zu verbergen, dass die Angst ihm bereits die Kehle zuschnürte.
    Im gleichen Moment bog ein etwa sechzehnjähriger schlaksiger Kerl mit gebräunter Haut, pechschwarzem Haar und einer schräg über die Stirn gerutschten gelben Kopfbedeckung im Laufschritt um die Ecke der Kirche. Der Junge stolperte fast über den Kaufmann und musste sich an seinen Schultern festhalten, um nicht hinzufallen. »Verzeiht, Herr«, entschuldigte er sich sofort, um dann, als er den gelben Hut auf dem Kopf seines Gegenübers bemerkte, hinzuzufügen: » Shalom Aleichem«, während er sich respektvoll verneigte.
    »Aleichem Shalom«, antwortete Shimon Baruch wie selbstverständlich, einerseits erleichtert darüber, einen Glaubensbruder vor sich zu haben, andererseits immer noch beunruhigt, weil es ihm nicht gelang, sich aus dem Griff des Schwachsinnigen zu befreien.
    »Nein, den habe isch schuerscht geschehen!«, protestierte der Riese laut an den Neuankömmling gewandt. »Der gude Herr hier wollde mir gerade Almoschen geben!« Und während er den Arm des Kaufmanns weiter umklammert hielt, stieß er den Kerl mit dem gelben Hut kräftig weg. »Vaschwinde!«
    »Lass mich los, du erbärmlicher Tölpel!«, schrie Shimon Baruch den Schwachsinnigen an, seine Stimme klang nun leicht panisch.
    »Lass ihn los!«, schrie nun auch der Junge und ging mutig auf den Riesen los, der ihm allerdings einen so mächtigen Fausthieb in den Magen versetzte, dass er sich nach vorn zusammenkrümmte.
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