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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
Autoren: Luca Di Fulvio
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waren die Seeleute überzeugt gewesen, das einzige wirksame Gegenmittel wäre ein besonderes Amulett: der Qalonimus.
    Eine alte Legende erzählte von einer Heiligen, derer sich ein barmherziger Arzt angenommen hatte, nachdem sie von Heiden gemartert worden war. Er hatte sie bis zu ihrem Tod begleitet und kurz vor ihrem Ableben ihren letzten Willen erfahren. Die Heilige hatte gebeten, dass man ihre Gebeine in die Heimat überführen sollte, um sie dort in Würde zu bestatten. Aber weil sie befürchtete, der Skorbut würde die Seeleute umbringen, denen man ihre sterblichen Überreste anvertraute, hatte sie vor ihrem Tod dem barmherzigen Arzt die Rezeptur einer wundersamen Kräutermischung anvertraut und ihn wissen lassen, dass jene Seeleute, die sich ein Amulett mit diesen Kräutern umhängen würden, vor der Krankheit Skorbut geschützt wären, ganz gleich, welchem Glauben sie angehörten. Die Legende hatte den Namen der Heiligen nicht überliefert, aber den des Arztes. Dieser hieß Qalonimus, und so wurde das Amulett nach ihm benannt.
    Kaum jemand wusste, dass die Legende keinesfalls aus alter Zeit stammte, sondern erst vor etwa zwanzig Jahren erdacht worden war. So wie auch kaum einer wusste, dass es weder die Heilige noch den Arzt je gegeben hatte. Das wusste nur ihr fantasievoller Erfinder, der reich damit geworden war, dass er den abergläubischen Seeleuten ein Amulett verkaufte, das allein seinem erfinderischen Geist entsprungen war und aus einer simplen Mischung übelriechender Kräuter und einer Eisenplatte in einem Ledersäckchen bestand. Und seit einer Woche wusste auch seine fünfzehnjährige Tochter davon, die von dem Betrüger die Wahrheit erfahren hatte.
    Der Name des Betrügers, der sich als Nachfahre des Arztes aus der Legende ausgab, die er selbst erfunden hatte, war Yits’aq Qalonimus di Negroponte, und seine Tochter hieß Yeoudith.
    Und in diesem Moment standen Vater und Tochter Hand in Hand auf dem Oberdeck der Galeere und warteten angespannt darauf, vom Kapitän der makedonischen Mannschaft verabschiedet zu werden, die sie von der ehemals venezianischen Insel Negroponte in der Ägäis bis hierher in den Teil der Adria gegenüber des Po-Deltas gebracht hatte, wo das Wasser nicht allzu tief und nicht allzu salzig war.
    »Hier endet Eure Reise«, verkündete der Kapitän. »Ihr kennt das venezianische Gesetz. Juden dürfen nicht per Schiff in den Hafen einfahren.«
    Der Betrüger verneigte sich ehrerbietig. »Vielen Dank, Ihr habt mehr getan, als ich erwarten durfte.«
    »Euer Ruf verdient all unseren Respekt«, erwiderte der Kapitän, der nicht gerade vertrauenserweckend wirkte.
    Yits’aq wusste nur zu gut, dass der Kapitän log. Er schaute zu der versammelten Mannschaft hinüber. Jeder einzelne dieser Seeleute wartete sehnsüchtig auf den Moment, in dem sie das Schiff verlassen würden.
    Der Kapitän gab zweien seiner Männer ein Zeichen, die daraufhin eine Schaluppe hinunterließen. Die hölzernen Rollen der Taue ächzten und hinterließen einen leichten Geruch nach verbranntem Öl in der Luft. »Ab … ab …«, kommandierte der Bootsmann und überwachte an der Reling, dass die Schaluppe für vier Ruderer und einen Steuermann sicher zu Wasser gelassen wurde.
    »Meine Männer werden Euch über diesen Flussarm ans Ufer bringen«, erklärte der Kapitän und zeigte auf einen breiten, mit Röhricht bewachsenen Küstenstreifen. »Ihr befindet Euch ganz in der Nähe der alten Stadt Adria. Ein wenig außerhalb gibt es ein Gasthaus, wo Ihr die Nacht verbringen könnt. Danach haltet Euch Richtung Nordosten. Dort liegt Venedig.«
    »Meine Tochter und ich sind Euch zu lebenslangem Dank verpflichtet«, sagte Yits’aq Qalonimus di Negroponte feierlich. Dann richtete er seinen Blick auf drei große Truhen, die in der Nähe der Kapitänskajüte standen und mit dicken Ketten und Schlössern gesichert waren.
    »Eure Habe wird zu Asher Meshullam in sein Haus in San Polo geliefert werden, so wie Ihr es angeordnet habt«, versicherte der Kapitän. »Nur keine Sorge.«
    »Ich vertraue Euch blind«, erwiderte Yits’aq, wobei er allerdings weiter die drei Truhen anstarrte, als ob er sich nicht von ihnen trennen wollte. Dann schaute er zu den Seeleuten hinüber und bemerkte ihre gierigen Blicke. Und er sah wieder zum Kapitän, dessen fahrige Bewegungen seine Ungeduld verrieten. »Ich vertraue Euch …«, wiederholte er, aber es klang weniger wie eine Bestätigung als vielmehr wie eine Frage. Oder eine flehentliche
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