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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
Autoren: Luca Di Fulvio
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sie doch die Nacht zusammen verbringen könnten. Aber als er den Damm erreichte, waren Benedetta, Zolfo und Ercole schon verschwunden. »Du bist ein dummer Sturkopf«, beschimpfte er sich selbst. Dann kroch er zurück und bog in einen Gang ein, in dem er aufrecht gehen konnte und dessen gewölbte Decke aus Tuffstein bestand. Auf dem Boden verlief in der Mitte träge ein dünnes Rinnsal Jauchebrühe, und alle zehn Schritte passierte er einen Pfeiler aus Ziegelsteinen. Nachdem er drei Ziegelsteinpfeiler hinter sich gelassen hatte, schlüpfte er durch eine schmale Öffnung im Tuffstein. Er rieb den Feuerstein, den er in der Tasche bei sich trug, und entzündete damit eine Fackel, die in der Mauer steckte.
    Die zitternde Flamme der pechgetränkten Lumpen beleuchtete nun einen quadratischen Raum, der mehr als zwei Mann hoch war. An der Mitte der hinteren Wand stand ein grob zusammengezimmertes Gerüst, das keinen besonders stabilen Eindruck machte. Über vier Pfosten quer gelegte Bretter bildeten eine grobe, zwei mal zwei Schritt große Plattform, auf der Mercurio vor der Feuchtigkeit des Untergrunds geschützt schlafen konnte. Sein Strohlager wurde durch zwei Pferdedecken mit dem aufgestickten päpstlichen Wappen ergänzt, die er in einem Stall des Viertels gestohlen hatte. Ein Teil des Gerüsts war hinter einem schweren, an mehreren Stellen eingerissenen Vorhang verborgen, allem Anschein nach ein altes Segel.
    Mercurio stieg eine wacklige Leiter hoch und steckte die Fackel in ein Loch, das er mit einem Meißel in die Wand gehauen hatte. Vorsichtig holte er den Beutel hervor, den er dem Kaufmann gestohlen hatte, öffnete ihn und schüttete die Münzen auf den Holzbrettern der Plattform aus. Dann betrachtete er die funkelnde Pracht. Er zählte sie noch einmal: vierundzwanzig Goldmünzen. Ein Vermögen. Doch er konnte sich nicht recht darüber freuen, denn in seinen Ohren hallte immer noch der Fluch des Kaufmanns wider. Er befürchtete, dass deswegen Unheil über ihn hereinbrechen könnte. Schließlich erzählte man sich, dass die Juden mit dem Teufel im Bunde stünden und Hexer wären. Mercurio bekreuzigte sich. Dann fiel sein Blick auf die rote Hand auf dem Lederbeutel. Die Zeichnung machte ihm Angst, deshalb warf er ihn fort und steckte die Münzen in einen anderen, leichteren Beutel aus Leinen.
    Er holte ein Stück hartes Brot aus seinem ledernen Quersack, wickelte sich in die Decken ein und knabberte an dem trockenen Kanten, wobei er immer wieder gegen die Versuchung ankämpfen musste, so schnell wie möglich sein Versteck zu verlassen. Seit drei Monaten machten ihm die Stille und die Einsamkeit hier in der Kanalisation Angst. Mercurio beugte sich über die Plattform und sah prüfend nach unten auf den feuchten Grund des Abwasserkanals. »Keine Gefahr«, sagte er laut zu sich selbst. Er widmete sich wieder seinem Brot, dann beugte er sich erneut nach vorn und suchte mit den Augen sorgfältig den Boden ab. Schließlich kuschelte er sich noch enger unter den Decken zusammen. »Schlaf jetzt«, befahl er sich. Doch das gelang ihm nicht. In seinen Ohren war auf einmal wieder dieses schreckliche Geräusch wie vor drei Monaten, als das Wasser den Abwasserkanal überschwemmt hatte. Und das Quieken der Ratten, die nach einem Fluchtweg suchten. Abrupt öffnete er die Augen und setzte sich keuchend auf. Er schaute erneut nach unten. Da war kein Wasser. Mittlerweile war gut ein Jahr vergangen, seit er Scavamorto davongelaufen war, aber er hatte sich immer noch nicht an die Einsamkeit gewöhnt. »Mercurio …«, hörte er auf einmal eine Stimme. »Mercurio … bist du da?«
    Mit der Fackel in der Hand sprang er von der Plattform. Als er vor dem Eingang seines Verstecks angekommen war, stand er plötzlich Benedetta, Zolfo und Ercole gegenüber. »Was wollt ihr denn hier? Ich hab euch doch gesagt, ihr sollt verschwinden«, fuhr er sie an. Er konnte ihnen nicht sagen, dass er sich freute, sie zu sehen. Solche Dinge auszusprechen war er einfach nicht gewohnt.
    »Im Wirtshaus Zu den Dichtern«, begann Benedetta mit Tränen in den Augen, »also, der Wirt dort …«
    »… hat uns eine Goldmünze geklaut!«, beendete Zolfo den Satz für sie.
    »Was geht mich das an?«, fragte Mercurio unwirsch und schwenkte die Fackel dicht vor seinem Gesicht.
    »Wir haben unsere Fische den Bettlern geschenkt«, fuhr Benedetta nun fort. »Wir wollten auch mal so essen wie die reichen Leute … Also sind wir ins Wirtshaus gegangen und haben lauter leckere
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