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Das Mädchen aus Mantua

Das Mädchen aus Mantua

Titel: Das Mädchen aus Mantua
Autoren: Charlotte Thomas
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beiden Pfleger, die die Trage schleppten, vorbei, dann ging sie zur Treppe und folgte dem Mönch nach unten. Dies musste der ominöse Keller sein, vor dem es Arcangela so gegraut hatte. Bis auf eine blakende Öllampe an der Wand war es finster hier unten. Neugierig schritt Celestina den langen Flur entlang. Von dem Mönch war nichts zu sehen, doch hinter einer der Türen hörte sie ein Rumoren, und der Gestank, der dort hervordrang, ließ keinen Zweifel, dass sich hinter dieser Tür der erwähnte Leichenraum befand. Sie hob die Hand, um anzuklopfen, doch bevor sie dazu kam, wurde die Tür von innen geöffnet, und Frater Silvano stand vor ihr. Offenbar hatte er nur etwas holen wollen, er trug ein Tablett mit chirurgischen Instrumenten.
    »Frater! Wie es mich freut, Euch noch anzutreffen! Ich wäre untröstlich gewesen, mich nicht persönlich von Euch verabschieden zu können. Ich habe Euch so viel zu verdanken, das wollte ich Euch unbedingt noch wissen lassen. Und Euch Eure Leihgabe zurückgeben, ohne die mir das alles nicht möglich gewesen wäre.« Sie wollte ihm den Schlüssel reichen, doch er rutschte ihr aus der Hand und landete klirrend hinter dem Mönch auf den Steinfliesen. Rasch tat sie einen Schritt an ihm vorbei, um den Schlüssel aufzuheben, während Silvano eine Bewegung machte, als wolle er sie daran hindern. Als sie sich aufrichtete und ihr Blick erfasste, was sich in dem vor ihr liegenden Raum befand, wusste sie warum. Mit einem Schreckenslaut erstarrte sie.
    Es war ein Leichenraum, aber keiner von der Art, wie sie es erwartet hatte. Nicht so wie in den Totenhäusern der Kirchen, wo die Verstorbenen aufgebahrt wurden, bis ihre Gräber ausgehoben und die Bestattungszeremonie vorbereitet war.
    Dies war ein Anatomieraum. Die weibliche Leiche, die ausgestreckt auf dem Tisch in der Mitte des Kellergewölbes lag, war fachkundig vom Schlüssel- bis zum Schambein aufgeschnitten worden. Ihre Innereien lagen in Schalen verteilt auf einem Nebentisch, aus manchen stieg noch Dampf. Sie war eben erst ausgeweidet worden. Dann sah Celestina das Gesicht der Toten, sie unterdrückte einen Aufschrei und fuhr zu Frater Silvano herum.
    Er nickte bedauernd. »Sie ist heute Morgen gestorben, wie wir es erwarteten.«
    »Aber warum …«, hob sie stammelnd an, brachte die Frage jedoch nicht heraus.
    »Warum sie hier unten liegt und nicht im Aufbahrungsraum der Kirche?« Er zuckte die Achseln. »Weil es einerlei ist, ob sie jetzt sofort dort hinkommt oder erst heute Abend, nachdem ich mit ihr fertig bin und sie wieder in das Tuch gewickelt habe. Wen sollte es stören? Sie ist tot, oder nicht? Und ich will herausfinden, woran sie gestorben ist. Damit ich vielleicht der nächsten Frau, die an einem unerklärlichen Fieber dahinsiecht, besser helfen kann.« Er ging auf den Tisch zu und deutete in die klaffende, blutige Körperhöhle. »Ich bin davon überzeugt, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen bestimmten Krankheitssymptomen und anatomischen Läsionen mancher Organe gibt. So habe ich beispielsweise bei meinen Sektionen herausgefunden, dass derjenige, der am Schlagfluss stirbt, degenerierte oder geschädigte Herzwände aufweist. Andere, die an Bauchwassersucht zugrunde gehen, haben von Geschwüren zerfressene Gedärme. Die Leber des Gelbsüchtigen, den Ihr neulich saht, war drei Mal so groß wie die eines Gesunden!« Der Mönch hatte sich ereifert bei seinen Erklärungen, seine Augen leuchteten im Licht der Lampe, die neben dem Sektionstisch brannte. Er kam auf Celestina zu. »Ihr solltet mir bei alledem hier helfen! Mit mir disputieren, Sachverhalte erforschen und dokumentieren! Ihr seid dazu prädestiniert, denn Ihr seid mit Leib und Seele Wissenschaftlerin. Genauso begierig darauf, die inneren Geheimnisse des menschlichen Organismus zu ergründen wie ich selbst!«
    Sie wich unwillkürlich zurück und stieß mit dem Rücken gegen ein Regal, in dem etwas umfiel und zerbrach. Unwillkürlich drehte sie sich um, ein großes Glas war entzweigesprungen, der Inhalt lag glitschig in einer Lache aus stinkendem Weingeist daneben. Ein anatomisches Präparat, eingelegt für spätere Untersuchungen und Betrachtungen. Als sie erkannte, was es war, stieß sie einen Schrei aus. Ihre Füße zwangen sie zur Flucht, bevor sie selbst einen klaren Gedanken fassen konnte. Sie rannte los, doch der Mönch warf mit einer raschen Bewegung die Tür zu und blieb davor stehen.
    »Es war tot, ein vaterloses ungetauftes Kind, niemand hat es
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