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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier
Autoren: Rosemarie Marschner
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erfreut und nachdenklich zugleich. Er las zwischen den Zeilen und begriff das, was da nicht stand. Was in der Beurteilung fehlte, fehlte in Wahrheit ihm.
    Eine Rezension in der »Allgemeinen Musikalischen Zeitung« gab ihm den Rest. Seine Melodien seien unnatürlich und schwer zu singen, hieß es da. Außerdem verstoße er gegen den reinen Satz. Seine größte Schwäche aber sei das Verkünsteln und die Verletzung der musikalischen Symmetrie.
    Es kostete ihn mehrere schlaflose Nächte, stundenlange Spaziergänge, Schmerzen im Gesicht und zwei honorarintensive Besuche bei Dr. Hahnemann. Danach hatte Friedrich Wieck seine Ruhe gefunden, denn nie zuvor hatte er sich selbst so nüchtern und illusionslos eingeschätzt.
    »Ich bin kein Fantasiemensch«, gestand er dem jungen Adolph Bargiel, seinem Leidensgenossen aus Hauslehrertagen, der sein Freund geblieben war, weil sich beide nach Anerkennung als Musiker sehnten. »Vielleicht bin ich in Wahrheit ein Impresario wie Leopold Mozart.«
    Bargiel lachte, wie nur ein junger Mensch lachen konnte, der noch an die Zukunft glaubte und daran, dass sein Talent und sein Charme jedes Hindernis überwinden würden. »Dann wirst du aber auch noch einen kleinen Wolfgang Amadeus brauchen.«
    Friedrich Wieck zuckte die Achseln. »Wer weiß«, murmelte er. Die Ermutigungen seines Arztes hatten eine Art Gottvertrauen in ihm geweckt. »Als Erstes brauche ich wohl eine gesicherte Existenz. Vielleicht kommt der kleine Wolfgang Amadeus dann von selbst.«
    In jenen Jahren wäre Friedrich Wieck niemals auf den Gedanken gekommen, dass sein hervorstechendster Charakterzug und sein größter Vorteil im täglichen Kampf um einen Platz im Licht seineBeharrlichkeit war. Sie wog mehr als so manches viel größere Talent eines Konkurrenten, den er hinter sich ließ, weil jenem die Zähigkeit fehlte, immer wieder Niederlagen einzustecken und von vorne anzufangen.
    Als Friedrich beschlossen hatte, sich von nun an der Musik von ihrer geschäftlichen Seite her zu nähern, ließ er nichts unversucht, in seiner Teilsparte zu reüssieren. »Klinken putzen heißt die Devise«, sagte er achselzuckend zu Adolph Bargiel, dem es inzwischen gelungen war, eine Stelle als Geiger im Leipziger Gewandhausorchester zu ergattern. Friedrich Wieck gönnte es ihm. Sein Entschluss, eine Art musikalischer Geschäftsmann zu werden, gab ihm auch die Kraft, sich einzugestehen, dass ihn Adolph Bargiel an Talent weitaus überragte. »Ein kleines Universalgenie«, nannte sich Adolph Bargiel, dem Bescheidenheit fremd war und der ungern verschwieg, dass er großartig Klavier spielte, mehrere Streichinstrumente beherrschte, schmelzend singen konnte wie ein Italiener und sogar zu komponieren verstand. Dass die Frauen Wachs in seinen Händen waren, genoss er besonders, und Friedrich Wieck dachte nicht einmal daran, ihn darum zu beneiden. Adolph Bargiel war ein Spieler, doch einer von der liebenswürdigen Sorte, wie es schien. Er war der erste Freund, den Friedrich Wieck hatte, und der letzte.
    Klinken putzen. In Vorzimmern warten. Buckeln. Immer wieder schildern, was man vorhatte. Angenehm sein. Komplimente machen. Dabei ging es von Anfang an doch nur um Geld. Startkapital.
    Seine Mutter zitterte vor Entsetzen, als sie erfuhr, dass ihr Sohn in der Stadt herumging, um Schulden zu machen. Obwohl das Reisen nie ihre Sache gewesen war, zwängte sie sich in eine Postkutsche und fuhr nach Leipzig, um ihren Sohn vor der Hölle zu retten. »Du hast doch erlebt, wie es deinem Vater erging«, beschwor sie ihn und erinnerte ihn daran, dass auch sie einst bessere Tage gesehen hatte, bis ihr Gatte auf die Idee gekommen war, seine Geschäfte »zu erweitern«, wie er es nannte. »Seien wir ehrlich: Er war ein Schuldenmacher. Das hat unsere Existenz zerstört.«Sie schwieg lange, dann legte sie ihre Hand auf Friedrichs Arm und sagte das schlimmste Schimpfwort, das sie kannte: »Ein Fallott, das war er, dein Vater. Ein Fallott! Das willst du doch nicht auch werden, oder? Ich würde es nicht überleben.«
    Friedrich Wieck gelobte Wohlverhalten, versprach alles, was sie wollte, und wartete, bis sie wieder abgereist war. Dann putzte er weiter die Klinken der reichen Leipziger Bürger, die nach den Waffengängen des Quälgeists Bonaparte jede Experimentierfreudigkeit verloren hatten. Jeder wollte immer nur Sicherheit. Sicherheit im Staat, Sicherheit in der Familie, Sicherheit bei Geldgeschäften.
    Doch Friedrich Wieck gab nicht auf, antichambrierte weiter,
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