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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier
Autoren: Rosemarie Marschner
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Später sagteer, in dieser Stunde habe er gelernt, dass man seinem Publikum immer nur das bieten dürfe, was es hören wolle.
    Er wurde Hofmeister, das heißt Hauslehrer, auf dem Rittergut Zingst in Querfurth an der Salza. Dort steckte er unter neuerlichen Nervenschmerzen die Frechheiten seiner Zöglinge ein. Er ertrug ihr Desinteresse und die Zornesausbrüche des Gutsbesitzers, eines ehemaligen Husarenoffiziers, der seine Freizeit mit galvanischen Versuchen an geköpften Verbrechern belebte und jeden mit der Peitsche bedrohte, der ihm in den Weg kam, wenn er in gestrecktem Galopp über seine Ländereien ritt. Eines Tages ging er so weit, seinen Hofmeister Wieck, »diesen duckmäuserischen Revoluzzer«, mit einer Mistgabel anzugreifen. Als dieser sich wehrte, stürzte er sich auf ihn, bereit, ihn zu erwürgen. Das war das Ende von Friedrich Wiecks neunjähriger Tätigkeit als Pädagoge. Bei Sturm und Hagel verließ er gemeinsam mit Adolph Bargiel, dem zweiten Hauslehrer, das Schloss und begab sich nach Leipzig.
    Mit den geringen Ersparnissen, die ihm von seinem Hungerlohn geblieben waren, suchte er nun nach Hilfe gegen seine Gesichtsschmerzen. Jemand erzählte ihm von einem Dr. Hahnemann, der eine neue Heilweise entwickelt habe, die er Homöopathie nenne und von der eigentlich niemand Genaueres wisse. Man höre aber immer wieder von spektakulären Heilerfolgen. Friedrich Wieck, der nach seiner Begegnung mit der Mistgabel vor Nervenschmerzen kaum noch schlafen konnte und eher einem wandelnden Skelett glich als einem Mann von nicht einmal dreißig Jahren, begab sich vertrauensvoll in die Hände des Wunderarztes, der ihm neben der medizinischen Behandlung auch beibrachte, wie man zu leben habe, um gesund zu werden und zu bleiben. »Vor allem«, pflegte er zu sagen, während der Kranke jedes Wort in sich aufsog, »vor allem eines: viel spazieren gehen! Jeden Tag und bei jedem Wetter. Bewegung ist das Fundament unserer Gesundheit. Bewegung an der frischen Luft. So einfach ist das. Das Einfachste ist meistens das Wirksamste.« Friedrich Wieck nickteund schwor, keinen Tag mehr vergehen zu lassen, an dem er sich nicht ausreichend Bewegung verschaffte. Doch der Arzt hob den Zeigefinger. »Und was genauso wichtig ist: Suchen Sie sich eine Beschäftigung, die Ihnen Freude macht. Nicht das, was andere von Ihnen verlangen. Nein, das, was Sie selber wollen!«
    Oh, wie genau Friedrich Wieck wusste, was er wollte! Keine Predigten mehr vor Gemeinden, die ihn nicht zu schätzen wussten! Keine Hauslehrertätigkeiten auf entlegenen Adelsgütern mit Schülern, die ihn behandelten wie einen Lakaien, und Lohnherren, die über jedem Gesetz zu stehen glaubten!
    Es war, als hätte der Arzt mit seinen Ratschlägen und Leitsätzen dem jungen Mann den Weg zu sich selbst gewiesen. Friedrich Wieck dachte, dass in seinem bisherigen Leben immer nur von Pflichten die Rede gewesen war. Pflichten gegenüber den Eltern, den Lehrern, der Kirche, den Professoren, dem Arbeitgeber, der Obrigkeit. Von einer Pflicht sich selbst gegenüber hatte keiner je gesprochen. Dabei spürte Friedrich Wieck genau, dass es außer diesen anerkannten Autoritäten eine weitere gab, die in ihm selbst begründet lag, die ihm angeboren war, von der Natur oder von Gott geschenkt als ein Auftrag, der erfüllt werden sollte. Wenn nicht, das hatte er inzwischen erfahren, folgte die Strafe ohne Verzögerung: Sein Gesicht zerriss in sich selbst, und in seiner Verzweiflung tat ihm das Herz so weh, dass er sich fragte, ob es nicht besser wäre, seinem Leben ein Ende zu setzen.
    Doch nun war er diesem Doktor begegnet, der nicht bloß sein Gesicht zu heilen versuchte, sondern ihn auf den Auftrag hinwies, sich selbst zu erfüllen. »Suchen Sie sich eine Beschäftigung, die Ihnen Freude macht!« Die Betonung lag auf dem Wort »suchen«, dachte Friedrich Wieck. Zum Virtuosen würde er es ja doch nicht mehr bringen. Vielleicht aber zum Komponisten?
    Unter Zweifeln und doch mit Hoffnung vertonte er einige Lieder und sandte sie an den Komponisten Carl Maria von Weber. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Weber wusste, wie einem Anfänger zumute war, der darauf wartete, sein junges Werk wohlwollend beurteilt zu sehen. »Empfangen Sie meinenDank für Ihre schön geführten Gesänge«, antwortete Weber fürsorglich. Er bemühte sich wohl, den jungen Mann nicht zu verletzen. »Ihre Melodien sind zart und innig gedacht und fassen meist glücklich den Dichter auf.«
    Friedrich Wieck war
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