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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier
Autoren: Rosemarie Marschner
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die späten Nachtstunden. Johanna Strobel war zu müde, um die Teller und Gläser noch aufzuräumen. Der Diener August schwankte, wenn er, die Augen halb geschlossen, den Gästen das Tablett mit den Getränken präsentierte, und Marianne Wieck nickte neben dem Bett der kleinen Clara ein. Sie schreckte erst auf, wenn ihr Gatte, umweht von einer leichten Bierfahne, hereinpolterte und ihr Vorwürfe machte, weil sie seine geschäftlichen Kontakte nicht genügend unterstützte. Er war noch immer hellwach. Auch Marianne schüttelte nun zuweilen ihren Schlaf ab und verteidigte sich. Doch das wollte er nicht hören. Immer lauter wurde es, sodass die Dienstboten trotz ihrer Erschöpfung aufwachten. »Sie streiten schon wieder«, murmelte Johanna Strobel dann in ihr Kissen, und das Küchenmädchen murmelte etwas, das sich wie »alter Ekelsack« anhörte.
    Niemand beachtete mehr das kleine Mädchen, so ähnlich seiner schönen Mutter, das mit weit offenen Augen im Bett lag, nicht weinte und nicht schrie, sondern nur zusah, wie Vater und Mutter aufeinander losgingen, dass nicht viel fehlte, und sie hätten einander verprügelt.
    Irgendwann waren sie erschöpft und gingen hinaus. Die Tür fiel ins Schloss. Es war wieder dunkel im Zimmer. Das kleine Mädchen starrte zur Decke, starrte ins Nichts. Wären nicht alle mit sich selbst beschäftigt gewesen, hätten sie sich vielleicht gefragt, ob das Kind all den Trubel überhaupt wahrgenommen hatte. Doch sie alle waren zermürbt von dem langen Tag und ließen sich hineinfallen in die Stille, die sich endlich über das Haus legte wie ein warmes Tuch, das sich schon nach wenigen Stunden wieder heben würde für einen neuen Tag der Unrast und des Kampfes um einen geschützten Platz in dieser unsicheren Welt.
2
    Als Clara noch nicht ganz zwei Jahre alt war, wurde ihr Bruder Alwin geboren. Damit mischte sich unter die gewohnte Geräuschkulisse nun auch noch das Geschrei eines Säuglings.
    »Dieses Kind bringt sein Maul niemals zu«, brummte Friedrich Wieck missvergnügt, als der kleine Alwin wieder einmal die Nacht zum Tage machte und dafür sorgte, dass seine Anwesenheit allseits zur Kenntnis genommen wurde. Tagsüber schlief er meistens, als hätte er begriffen, dass sein helles Organ im üblichen Trubel untergehen würde. Nachts aber, wenn alles still war, erhob er seine Stimme, probierte sie aus, wiederholte einzelne Passagen und verbesserte sie. Es war, als höre er sich selbst zu und erfreue sich an der eigenen Modulationsfähigkeit und der Lautstärke, die den Raum erfüllte, das ganze Haus und sogar noch die Straße, wenn in der sommerlichen Wärme die Fenster geöffnet waren. Ich schreie, also bin ich. Eigentlich war Alwin Wieck ein wahrer Sohn seines Vaters.
    »Er hat gesunde Lungen«, murmelte Johanna Strobel erbittert. Der Diener August fügte hinzu: »Verfluchtes Balg!«
    Bei Clara war alles anders gewesen, das wusste man erst jetzt zu schätzen. Sie hatte nie geschrien, höchstens gemaunzt wie ein Kätzchen. Geweint hatte sie selten, aber auch nur wenig gelacht. Was indes allen auffiel, war ihre erstaunliche körperliche Geschicklichkeit. In einem Alter, in dem andere Kinder noch auf dem Boden dahinrobbten, zog sie sich bereits an Stühlen und Tischbeinen, ja sogar an der Wand hoch und versuchte die ersten Schrittchen. Niemand wusste genau zu sagen, wann sie begonnen hatte, ohne Hilfe zu laufen. Alle hatten den Eindruck, sie hätte schon immer auf zwei Beinen gestanden, auch als man noch glauben konnte, da käme einem kein Kleinkind entgegen, sondern eine Puppe.
    »Sie ist sehr früh entwickelt«, stellte Friedrich Wieck zufrieden fest. Er setzte sich ans Klavier und hob das Kind auf seinen Schoß. Dann schlug er verschiedene Tasten an und wartete auf Claras Reaktion. Er meinte, sein Herz müsse vor Freude zerspringen, als die Kleine die vorgegebene Tonfolge wiederholte. Erst noch mit patschenden Händchen, die auch die Tasten daneben niederdrückten, bald aber mit einem festen, zielsicheren Anschlag. Eines Tages, als Friedrich Wieck ihre Finger führte, übernahm sie sogar seinen Fingersatz. Beim zweiten Mal wieder. Es war kein Zufall gewesen. »Meine kleine Pianistin«, flüsterte Friedrich Wieck und hatte Tränen in den Augen, was bisher noch nie jemand bei ihm beobachtet hatte. »Mein kleines Wunderkind!«
    Genau das hatte er sich erträumt, seit ihm klar geworden war, dass er selbst nicht zum Künstler berufen war. Ein langer Weg der Enttäuschungen und der Resignation
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