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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier
Autoren: Rosemarie Marschner
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buckelte weiter, redete und redete, bis endlich ein ehemaliger Kommilitone namens Streubel, der es inzwischen zum amtierenden Polizeipräsidenten von Leipzig gebracht hatte, der Verlockung nicht widerstehen konnte, sich gegenüber dem armen Schwein von einst als Mann von Welt und Geld zu erweisen. »Tausend Taler«, sagte er in gemessenem Ton und sah dabei doppelt so alt aus, wie er tatsächlich war. »Aber lassen Sie mich meine Großzügigkeit nicht bereuen, lieber Freund.«
    Tausend Taler Startkapital! Ein eigener Laden, hieß das, ausgestattet mit allem, was das Herz des Musikfreundes zum Jubeln brachte: Instrumente, Metronome, Trillermaschinen, Fingerspanner und Noten, Berge von Noten. Schließlich machte auch Kleinvieh Mist. Das verkannte Genie war im realen Leben angelangt.
3
    Der Herr Polizeipräsident brauchte um sein Geld nicht zu bangen. Noch vor Ablauf der vereinbarten Rückzahlungsfrist betrat Friedrich Wieck in einem neuen schwarzen Anzug und untadelig polierten Schuhen das Kontor im Präsidium und ließ sich melden. Der Sekretär erkannte den demütigen Bittsteller von einstnicht wieder. Er bemerkte nur die gepflegte Kleidung und jene Aura von Erfolg, die auszureichen pflegte, um von seinem Vorgesetzten unverzüglich empfangen zu werden.
    »Ich bin Ihnen aufrichtig dankbar, Verehrter, dass Sie mir in meiner vorübergehenden Notlage beigestanden sind«, sagte Friedrich Wieck mit seiner durchdringenden Stimme. Er legte das Kuvert mit dem Geld auf den Tisch – nicht zugeklebt, denn sein Gläubiger sollte auf einen Blick erkennen können, dass alles seine Ordnung hatte. Danach knallte er zwei kolorierte Zeichnungen auf den Tisch, obwohl ihm sein Gegenüber noch nicht einmal einen Platz angeboten hatte. »Meine Musikalien-Leihanstalt«, erklärte er stolz, »und hier die Pianoforte-Fabrik Friedrich Wieck.«
    Der Polizeipräsident nickte überrumpelt. Er setzte sich und wies seinen Besucher an, es ihm gleichzutun. »Sehr schön, sehr schön«, murmelte er und griff nach dem Umschlag. Wie Friedrich Wieck es erwartet hatte, warf er verstohlen einen Blick hinein. »Mit den vereinbarten Zinsen, versteht sich!«, versicherte Wieck.
    Der Polizeipräsident lächelte erleichtert. Eigentlich hatte er bereut, dass er seinem einstigen Kommilitonen so viel Geld in den Rachen geworfen hatte. Auch seine Frau hatte ihm deswegen Vorwürfe gemacht und prophezeiht, er werde keinen müden Heller davon wiedersehen. Umso erfreulicher war es, alles nun mit Zinsen zurückzubekommen und zugleich als Förderer eines tüchtigen Geschäftsmannes dazustehen. »Passabel, passabel, alter Freund«, murmelte er, während Friedrich Wieck von seiner Musikschule schwärmte und von seinen Reisen nach Wien zu den weltberühmten Klavierfabrikanten Tomaschek, Graf und Stein, die jedes Mal von seinen Verbesserungsvorschlägen profitierten. »Inzwischen baue ich aber auch schon meine eigenen Instrumente«, berichtete er weiter. »Viel solider als bei den anderen Firmen. Eichenholzfurnier in den Böden und durchgängig zweichörig, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    Der Herr Polizeipräsident verstand es nicht, aber er kam sich plötzlich gesetzt und tranig vor nebem dem mickrigen kleinen Fritze von einst, den während des Studiums keiner ernst genommenhatte. Damals brauchte man seinen Namen gar nicht zu nennen, sondern nur die Handflächen auf die Wangen zu legen und ein schmerzerfülltes Gesicht zu ziehen – schon brachen alle in Gelächter aus und wussten genau, von wem die Rede war. Und nun saß dieser Mensch da und redete von Reisen nach Wien! Irgendwie, dachte der Polizeipräsident erbittert, war die Welt nicht mehr die gleiche, seit die Franzosen die alte Ordnung erschüttert hatten.
    »Jetzt brauchst du deinen Wolfgang Amadeus nicht mehr«, sagte Adolph Bargiel mit wohlwollendem Neid in der Stimme. Seine Stelle im Gewandhausorchester reichte gerade aus, die allernötigsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Das Zimmerchen, das er sich leisten konnte, lag unter dem Dach. Es war im Sommer zu heiß und im Winter zu kalt. Am Essen musste er sparen, und wenn er abends nach der Vorstellung auf ein Gerstenbier in die Fleischergasse ging, um sich in Poppes Gasthof »Kaffeebaum« mit seinen Orchesterkollegen zu treffen, verzichtete er zum Ausgleich dafür auf das Abendessen. Nur die Gesangsstunden, die er den Damen der Leipziger Gesellschaft erteilte, ersparten ihm ein Dasein in völliger Armut. Angenehmerweise trugen sie auch zur Erfüllung
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