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Das Luxemburg-Komplott

Das Luxemburg-Komplott

Titel: Das Luxemburg-Komplott
Autoren: Christian von Ditfurth
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spendete Wärme. Das Mobiliar war kunstvoll verziert, aber offenbar nicht mehr vollständig.
    Dserschinski war in sich gekehrt. Woran mochte er denken? fragte Zacharias sich. Plante er schon die nächsten Schläge gegen die Feinde?
    Eine zweite Tür öffnete sich, sie war eingelassen in die Wand. Eine kleine hagere Frau winkte sie wortlos herein. Zacharias folgte Dserschinski in Lenins Arbeitszimmer.
    An der Wand ein Porträt von Marx. Das Mobiliar war schlicht, ein Schreibtisch mit Stuhl, daran vorne anschließend ein Tisch mit zwei schweren Ledersesseln, neben einem Regal ein Ledersofa. Zacharias entdeckte auf dem Tisch eine Statuette, ein auf einem Darwin-Buch sitzender Schimpanse, in der Hand einen Menschenschädel, den er fragend betrachtete, die Finger am Mund. In einer Ecke dampfte ein Samowar.
    Lenin war kleiner, als Zacharias ihn in Erinnerung hatte. Er hatte ihn Monate zuvor als Redner auf einer Versammlung im Petrograder Smolny-Institut gesehen. Lenin sah alt aus, aber seine Augen strahlten, und darin ähnelten sie Rosas. Zacharias hatte über das Attentat gelesen, das ein paar Monate zuvor auf Lenin verübt worden war, und manche munkelten, mit seiner Gesundheit stehe es nicht gut.
    Lenin erhob sich hinter dem Schreibtisch und kam ihnen einige Schritte entgegen. Er gab Dserschinski die Hand, dann Zacharias, dessen Hand er einen Augenblick festhielt. Lenins Hand war erstaunlich weich. Dann zeigte er auf die Sessel und bat sie, Platz zu nehmen.
    Zacharias hatte viel gehört von Lenins Rastlosigkeit und Willenskraft. Aber der Lenin, den er nun sah, zeigte Spuren des Alters und der Erschöpfung, Ringe um müde Augen, eine wachsbleiche Haut, und seine Hände zitterten ein wenig. Zacharias mühte sich, nicht hinzuschauen.
    »Nun, Genosse Dserschinski, hier haben wir also den Genossen Zacharias«, sagte Lenin. Er sprach, ohne seine Stimme zu heben. »Möchten Sie Tee?«
    Zacharias schaute Dserschinski an, der nickte. »Gerne, Genosse Lenin.«
    »Nehmen Sie sich.« Lenin zeigte auf Becher, eine Teedose und den Samowar.
    Sie nahmen sich Becher, die neben dem Samowar standen.
    »Möchten Sie Zucker?« fragte Lenin.
    »Gerne«, sagte Zacharias, um etwas zu sagen. Seine Befangenheit war ihm peinlich. Dserschinski warf ihm einen bösen Blick zu. Lenin stand auf, hob den Deckel von einer Dose und sagte: »Nicht einmal Zucker für meine Gäste haben wir. Warten Sie.« Er verließ den Raum mit der Zuckerdose in der Hand. Dserschinski starrte auf den Fußboden vor sich.
    »Ich wusste nicht …«
    Dserschinski winkte ab, ohne ihn anzuschauen. Er musste Ähnliches schon einmal erlebt haben. Nach einer Weile öffnete sich die Tür, und Lenin kehrte zurück mit der Zuckerdose. »Der Genosse Swerdlow ist unersetzbar, wie wir alle wissen. Jetzt noch mehr als früher.« Lenin stellte die gefüllte Zuckerdose auf den Tisch und schaute Zacharias an. Der nahm sich reichlich Zucker, Dserschinski tat es ihm nach.
    »Sie wissen, ich schätze die Genossin Luxemburg. Wir hatten früher Streit, waren ja gewissermaßen in einer Partei. Im Gegensatz zu anderen ist die Genossin Luxemburg unserer revolutionären Sache treu geblieben. Und doch gibt es weiterhin Widersprüche. Aber wenn wir die neue, revolutionäre Internationale aufbauen wollen, brauchen wir die deutschen Genossen, vor allem Liebknecht und Luxemburg. Niemand hat einen größeren Namen beim internationalen Proletariat.«
    Dserschinski wollte etwas sagen. Es genügte ein freundlicher Blick Lenins, und Dserschinski schloss seinen Mund wieder.
    »Genosse Zacharias«, sagte Lenin bedächtig. »Wenn die Deutschen keine Revolution machen, wird der Rest der Welt über uns herfallen. Sie werden uns vernichten, die Sowjetmacht beseitigen und diesen Zwerg Kerenski zurückholen oder vielleicht sogar ein Mitglied der Zarenfamilie, das wir übersehen haben. Ich sage Ihnen offen, das Schicksal unserer Revolution liegt in der Hand von Luxemburg und Liebknecht. Und ein klein wenig auch in Ihrer.«
    Zacharias versuchte zu begreifen, was Lenin meinte. Es gelang ihm nicht, er fühlte sich klein und spürte den Druck der Verantwortung, die Lenin ihm auflud.
    Als wüsste Lenin, was Zacharias fürchtete, sagte er: »Wir tun alle mehr, als wir können. Niemand hat uns gezeigt, wie man die Sowjetmacht aufbaut, die Tscheka oder die Rote Armee. Die Genossen Dserschinski und Trotzki haben aus dem Nichts großartige Organe unseres Staats geschaffen. Seien Sie sicher, dass die Genossen viele Nächte nicht
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