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Das Luxemburg-Komplott

Das Luxemburg-Komplott

Titel: Das Luxemburg-Komplott
Autoren: Christian von Ditfurth
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Ladenbesitzer, Kulaken oder ehemalige Offiziere des Zaren waren. Er schlief nachts schlecht, sah die Angst in den Augen seiner Opfer und hörte noch, wie sie ihre Unschuld beschworen und um ihr Leben bettelten. Er wusste, diese Bilder würde er bis zum Ende seines Lebens in sich tragen. Eine Zeitlang hatte er sich eingeredet, er müsse weiter töten, um zu rechtfertigen, dass er getötet hatte. Erwies es sich als falsch, war er ein Verbrecher. Aber dann hatte er es nicht mehr ausgehalten. Er verbarg vor seinen Genossen und Vorgesetzten, dass er nachts zitternd und schwitzend aufwachte. Seine Begeisterung war erloschen, und doch konnte er nicht falsch finden, was die Tscheka tat. Tat sie es nicht, würde die Revolution in Bauernaufständen ersticken, und die Weißen würden die Sowjetmacht beseitigen und alle umbringen, die ihr geholfen hatten.
    »Sie fühlen sich berufen, der deutschen Revolution zu helfen.«
    »Berufen ist ein großes Wort, und ich bin nur ein kleiner Bolschewik. Aber manchmal sind die Kleinen nicht unnütz.«
    Dserschinski lächelte. »Ihre Mundfertigkeit ist auch in der Akte vermerkt. Sie haben sich verdient gemacht im Kampf gegen die Feinde. Ich weiß, der ist nicht leicht. Wir sind keine Mörder, denen das Töten Freude bereitet. Wir sind Humanisten. Die Diktatur des Proletariats ist tausendmal humaner als die Diktatur der Bourgeoisie.«
    Zacharias schien es zunächst fast, Dserschinski sagte es, um sich selbst zu überzeugen. Aber dann verwarf er den Gedanken. Ein Mann wie Feliks Dserschinski zweifelte nicht. Wer jeden Tag Menschen zu Hunderten in den Tod schickte, musste restlos überzeugt sein, dass es richtig war. Zacharias stellte sich Rosa an Dserschinskis Stelle vor, während der in der Akte blätterte und wieder in seinen Gedanken versank. Würde sie befehlen, Menschen zu töten, weil sie im Verdacht standen, gegen die Revolution zu arbeiten, oder weil sie aufgrund ihrer sozialen Herkunft als Feinde galten, als »Burschuis«? Dserschinski hatte lange Jahre mit Rosa zusammengearbeitet in der kleinen Partei mit dem langen Namen Sozialdemokratie des Königreichs Polen und Litauens. Er hatte in den parteiinternen Streitereien als ihr Anhänger gegolten. Würde sie nun genauso handeln wie Dserschinski? War das nur eine Frage der Lage und des Zeitpunkts? Gibt es in einer Situation immer nur eine Möglichkeit, sich richtig zu entscheiden? Zacharias rief sie sich als Dozentin in Erinnerung. Es waren zuerst ihre Augen, die einen anstrahlten und gefangennahmen.
    »Wird sich die Genossin Luxemburg an Sie erinnern?«
    Ob Dserschinski Gedanken lesen konnte? »Ich glaube schon.« Augen, die einen so anstrahlen, vergessen einen nicht. »Es wird mir sonst aber bestimmt gelingen, mich in Erinnerung zu bringen.«
    Dserschinski lächelte. Gleich wurde er wieder ernst. »Die Genossin Luxemburg war eine gute Lehrerin.« Es war keine Frage. »Aber sie hat eine Sache nicht verstanden und sich dadurch in einen Widerspruch zum Genossen Lenin gebracht. Sie unterschätzt die Rolle der Partei. Ihre Partei führt nicht, sie lehrt. So ist die Genossin Luxemburg immer eine Lehrerin geblieben. O ja, auch ich habe viel von ihr gelernt. Sie hat eine Art, einem die Dinge um die Ohren zu hauen, ich muss schon sagen …«
    Er brach ab, kurz erschien wieder ein Lächeln in seinem Gesicht. Einen Augenblick sah es so aus, als hätte dieser harte Mann Sehnsucht. »Wir haben nachher noch eine wichtige Besprechung. Nehmen Sie den Bericht aus Berlin und warten Sie draußen, bis Sie gerufen werden.«
    Zacharias setzte sich im Vorraum in einen weichen Sessel und begann den Bericht zu lesen. Zuerst schaute er nach, wer ihn geschrieben hatte, aber da stand kein Name. Der Unbekannte schilderte, wie Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verhaftet und befreit worden waren.
     
    Am Mittwoch, den 15. Januar 1919, drangen Mit glieder einer sogenannten Wilmersdorfer Bürger wehr in die Wohnung eines Herrn Marcusson in der Mannheimer Str. 43 ein. Dort stießen sie auf den Genossen Liebknecht, den sie verhafteten. Zwei Bürgerwehrleute brachten den Genossen Liebknecht zunächst in das Hauptquartier der Bürgerwehr in der Cecilienschule, um ihn dort zweifelsfrei zu identifizieren, weil der Genosse Liebknecht erklärte, er heiße Marcusson. Drei Mann blieben in der Wohnung des Marcusson zurück, um Genossen zu verhaften, die dort auftauchten. Später wurde der Genosse Liebknecht ins Hotel Eden gefahren, das Hauptquartier der
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