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Das Luxemburg-Komplott

Das Luxemburg-Komplott

Titel: Das Luxemburg-Komplott
Autoren: Christian von Ditfurth
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und der Roten Armee. Es ist leichter, Befehle zu geben, als den Sozialismus aufzubauen in einem Land, in dem es nur eine Handvoll Sozialisten gab und in dem nicht einmal diese so genau wussten, was sie wollten.
    Dserschinski erwartete ihn erst am Nachmittag zur Abschlussbesprechung, so hatte Zacharias Zeit, seine paar Sachen zusammenzupacken. Er zerbrach sich den Kopf, wie er nach Deutschland kommen könnte. Durch Polen war der kürzeste Weg. Aber die Polen würden so einen wie ihn zurückweisen oder verhaften. Und eine Reise durch die Ukraine könnte gefährlich sein. Mit dem Schiff über Schweden käme er bis nach Hamburg oder Kiel, aber an der Grenzkontrolle würde es gefährlich, sobald der Verdacht aufkam, er sei ein Abgesandter der Bolschewiki. Zacharias spürte die Unruhe in sich wachsen, er dachte an die Menschen, die er vielleicht in Berlin wiedertreffen würde. Würde er seinen Auftrag erfüllen können? Was hatte Lenin und Dserschinski auf die Idee gebracht, einem jungen Kerl wie ihm eine solche Weisung zu geben?
    Dass es ihn überhaupt hierher verschlagen hatte, ins Zentrum der Weltrevolution, wie manche Bolschewiki stolz sagten. Dass er Lenin kennengelernt hatte, dass der ihm einen Auftrag gegeben hatte, einen so wichtigen Auftrag, der ihn den Führern der Kommunistischen Partei Deutschlands nahebringen würde. Einen Auftrag, der ihn schwindelig machte. Warum er? Sie hatten keinen anderen gefunden, der Bolschewik war, sogar in der Tscheka gedient hatte und Rosa kannte. Das war ihm nicht in die Wiege gelegt worden. Wer in einer Arbeiterfamilie aufwächst, träumt nicht von Höherem. Nicht davon, mit Menschen zu verkehren, die Geschichte machten. Sein Vater hatte es als größtmögliche Ehre empfunden, als Bebel einmal bei einem Parteitag ein paar Worte mit ihm wechselte. Er erzählte oft davon, wie freundlich der Arbeiterkaiser gewesen sei und dass der alles genau wissen wollte über die Arbeit, die Wohnung, die Familie.
    Zacharias hatte sich damals nichts anderes vorstellen können, als Metallarbeiter zu werden wie der Vater. Er hatte seine Lehre gemacht, seine Kollegen achteten ihn, weil er fleißig war und genau. Aber dann hatte ihn der Krieg herausgerissen aus seiner Welt. Er wollte Margarete noch schnell heiraten, aber sie sagte aus irgendeinem Grund, sie werde warten, sie sollten nichts überstürzen, sie kennten sich doch noch nicht so lange.
    Zacharias legte sich aufs Bett und starrte an die Decke. Sobald er still lag, begann es zu jucken. Er kratzte sich instinktiv, die Läuse begleiteten ihn seit dem Krieg. Wieder mühte er sich, Bilder der Vorkriegszeit in seine Erinnerung zu heben. Aber sie waren vernebelt, und er ahnte, was er sah, hatte sich verselbständigt, war mehr eine Illusion als Wahrheit.
    Es schneite dicke Flocken. Ein Wagen brachte ihn zur Bolschaja Lubjanka 11, vor kurzem noch Sitz der Versicherungsgesellschaft Jakor, jetzt Hauptquartier der Tscheka. Zacharias benutzte einen Nebeneingang für Kader und passierte die Eingangskontrolle. Er brachte das Gepäck in ein Wartezimmer, setzte sich an den Tisch und legte die Füße hoch. Nur selten war er hier gewesen, in seiner Moskauer Tscheka-Zeit war er die meiste Zeit auf der Jagd nach Feinden gewesen, die sie manchmal herbrachten zum Verhör oder gleich vor Ort liquidierten. Nachts verfolgten ihn ihre Augen und der Geruch der Angst. Die leisen Gebete der Popen. Das ungläubige Staunen von Bauern, denen vorgeworfen wurde, Getreide zu horten, und die dafür ihr Leben verlieren sollten. Frauen, die um das Leben ihrer Männer jammerten, kreischende Kinder. Geiseln, die für andere büßen sollten und in deren Augen der Irrsinn stand.
    Zuletzt war Zacharias stellvertretender Zugführer gewesen. Je höher man stieg, desto größer die Verantwortung. Und die Schuld, die man sich auflud einer größeren Sache wegen. Weil die Sowjetmacht überleben musste. Um jeden Preis. Um wirklich jeden Preis. Weil sie keine Zeit hatten für Untersuchungen und Gerichtsverfahren, wenn ihnen die Dinge klar schienen. Er redete sich ein, unrecht zu tun, um schlimmeres Unrecht zu verhindern. Die Geschichte der Menschen beginnt neu, und sie waren die, die die Geschichte machten. Da darf man nicht viel reden, sondern muss handeln.
    Dann klopfte es an seiner Tür. Ein Tschekist rief ihn zu Dserschinski. Der saß hinter seinem Schreibtisch und wies auf den Stuhl davor. Als Zacharias saß, schaute Dserschinski ihn an, lächelte kurz und sagte: »Sie haben sich gewiss
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