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Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition)
Autoren: Inez Corbi
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Bridget den Leuchter im Flur entzündet hatte, dann schickte sie die beiden Dienstboten ins Bett. Jetzt war nur noch die Familie versammelt.  
    Moiras Blick ging zu Ivy. Ihre Schwester, das Tuch um das Nachthemd züchtig geschlossen, ordnete mit den Fingern ihr Haar. Mutter griff helfend ein.  
    Ivy war in allem so, wie sich Eleanor Delaney eine wohlerzogene Tochter vorstellte. Ihre Stiche bei der Handarbeit waren stets gerade, sie konnte bezaubernd singen und Klavier spielen, und sie liebte schöne Kleider. Wenn man sie in zwei Jahren in die Gesellschaft einführte, würde Ivy unweigerlich die Blicke aller Männer auf sich ziehen. Ihre kleine Nase wies ein wenig himmelwärts, und für ihr feines naturblondes Haar hätte so manche Frau ein Vermögen hergegeben. Nicht einmal Mutter hatte so helles Haar, obwohl sie es wöchentlich mit Zitronensaft behandelte.  
    Moiras Haar dagegen war nachtschwarz wie das Fell ihrer Stute Dorchas. Für ihr Debüt im März hatte Moira es sich abschneiden lassen, aber seitdem war mehr als ein Monat vergangen, und die einstmals sorgsam gelegten Löckchen waren auf dem besten Weg, wieder zu einer wilden Mähne zu werden. Ein weiterer Minuspunkt auf der endlosen Liste von Vorwürfen, die sie sich immer wieder anhören musste, neben ihrer mangelnden Fähigkeit oder auch dem Unwillen, Klavier zu spielen oder Kissen zu besticken. Ganz abgesehen von ihrem letzten, ungeheuerlichen Fauxpas.  
    Der Kerzenleuchter im Flur warf flackernde Schatten auf die Wände und den dichten Teppich. Der Sturm hatte sich gelegt, nur noch dann und wann konnte Moira ein paar Zweige gegen die Fenster schlagen hören. Am liebsten hätte sie das Ohr an die Tür zum Schlafzimmer der Eltern gelegt, aber das hätte Mutter, die seufzend auf einen Hocker gesunken war, nie zugelassen. Und so konnte sie nur dastehen und auf die Geräusche lauschen, die aus dem Zimmer drangen.  
    Gemurmelte Stimmen, dann ein langes Stöhnen. Für eine Weile herrschte Stille, dann setzte es wieder ein. Moira hob den Daumen an den Mund und biss an ihrem Nagel herum, bis Mutters strafender Blick sie traf. Schuldbewusst zog sie den Finger zurück.  
    Ein leiser Schrei ertönte, der die Frauen zusammenzucken ließ, dann ein Aufseufzen. Wieder Stimmen, dann öffnete sich die Tür.  
    Dr. McIntyre bat die Frauen herein. »Ein Blasenstein«, sagte er ohne weitere Eröffnung. »Eingeklemmt auf dem Weg nach draußen. Ich konnte ihn zurückdrängen.«  
    »Dr. McIntyre, Ihr seid ein Engel!« Eleanor Delaney gelang es selbst jetzt noch, gekünstelt zu klingen.  
    »Und ein wahrer Meister Eures Fachs«, ergänzte ihr Mann. Er saß bleich, aber mit einem glücklichen Lächeln halb aufgerichtet im Bett und wischte sich mit dem Handrücken ein paar Schweißperlen von der Stirn. Auf dem Nachttisch lag eine dünne Sonde, in der Luft schwebte der Geruch einer medizinischen Essenz. »Ich hätte diese Schmerzen keine Minute länger ertragen.«  
    »Ihr müsst in nächster Zeit viel trinken, Mr Delaney. Wasser, keinen Wein! Auch wenn Ihr damit handelt.« Dr. McIntyre rieb die Sonde mit einem Lappen ab und verstaute sie in einem Futteral, das er anschließend in seine Tasche packte. »Außerdem solltet Ihr mehr auf Eure Ernährung achten. Weniger fette Speisen. Und bewegt Euch mehr.«  
    »Ja«, seufzte der Vater. »Alles, was Ihr sagt.«  
    »Ich fürchte dennoch, diese Kolik wird nicht die letzte gewesen sein. Ich rate Euch sehr dazu, den Stein entfernen zu lassen.«  
    »Eine Operation?« Der Vater wurde noch blasser.  
    Dr. McIntyre hob die Schultern. »Keine schöne Sache, ich weiß. Aber der Stein ist nicht groß. Wenn Ihr es wünscht, könnte ich in den nächsten Tagen versuchen, ihn auf natürliche Weise zu entfernen.«  
    Philip Delaney sah aus, als hätte man ihn gebeten, einen lebenden Frosch zu schlucken. Dann nickte er. »Bitte. Tut das. Alles, was mir den Schnitt erspart. Ich werde Euch reichlich entlohnen.«  
    »Auf natürliche Weise?« Moira konnte ihre Neugier nicht zurückhalten. »Wie meint Ihr das?«  
    Dr. McIntyre blinzelte sie hinter seinen Brillengläsern verwirrt an. Offenbar war er es nicht gewohnt, dass ihm junge Frauen derartige Fragen stellten.  
    »Nun«, begann er umständlich, setzte seine Brille ab und sah fragend auf. »Ich weiß nicht, ob –«  
    »Ihr habt vollkommen recht, Dr. McIntyre«, kam ihm Mutter zu Hilfe. »Das ist wirklich kein Thema, das eine junge Dame interessieren sollte.« Sie lächelte ihm
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