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Das Lied der Maori

Das Lied der Maori

Titel: Das Lied der Maori
Autoren: Sarah Lark
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jeher ungeschützt der Natur der Canterbury Plains aus. Doch James hätte nicht eins ihrer Lachfältchen missen wollen oder die steile Falte, die sich zwischen ihren Augen bildete, wenn sie verärgert war, so wie jetzt.
    »Nichts aber!«
    Heather Witherspoon musste etwas erwidert haben, das James entgangen war.
    »Der Platz, an dem Sie wirklich gebraucht werden, Miss Heather, ist hier! Einige Maori-Kinder können noch immer nicht lesen und schreiben. Und mein Sohn könnte eine altersgemäßere Förderung brauchen. Also packen Sie das Zeug wieder aus, und begeben Sie sich an Ihre eigentliche Arbeit. Die Kinder sollten jetzt Schule haben. Stattdessen spielen sie draußen Ball!«
    Das war Gwyn also auch nicht entgangen. James applaudierte ihr, als sie jetzt aus dem Zimmer rauschte.
    Gwyneira erschrak über ihren Zusammenstoß; dann lachte sie ihn an.
    »Was machst du denn hier? Warst du auch auf dem Kriegspfad? Die Eigenmächtigkeiten unserer Miss Heather sind wirklich die Höhe!«
    James nickte. Wie stets besserte sich seine Laune, wenn Gwyneira bei ihm war. Inzwischen waren sie seit sechzehn Jahren kaum einen Tag getrennt gewesen, aber ihr Anblick machte ihn immer noch glücklich. Umso schlimmer, dass er sie jetzt, möglicherweise für Wochen, nicht um sich haben würde.
    Gwyneira merkte ihm die Verstimmung sofort an.
    »Was ist los mit dir? Du rennst schon den ganzen Tag mit einer Miene herum wie drei Tage Regenwetter! Passt es dir nicht, dass wir wegfahren?«
    Gwyneira wollte ihrem Mann zunächst die Treppe herab folgen, hörte dann aber Kuras Klavierspiel. Beide bogen wie auf ein unsichtbares Kommando in Richtung ihrer Privaträume ab. Im Salon mochten die Wände Ohren haben.
    »Ob es mir ›passt‹, ist wohl kaum von Belang«, meinte James mürrisch. »Ich weiß einfach nicht, ob diese Reise das Richtige ist ...«
    »Um Kura in den Griff zu kriegen?«, fragte Gwyn. »Leugne es nicht. Ich hab gehört, wie du im Stall mit Andy McAran darüber gesprochen hast. Nicht gerade diskret, wenn du mich fragst ...«
    Gwyneira nahm ein paar Sachen aus ihrem Schrank und packte sie in einen Koffer. Ihre Reise, so signalisierte sie damit, war beschlossene Sache. James’ Unbehagen wuchs zu echtem Zorn aus.
    »Es war Andys Ausdruck. Wenn du’s genau wissen willst, sagte er: ›Ihr müsst sehen, dass ihr die Kleine in den Griff kriegt, sonst verkuppelt Tonga sie mit dem nächsten Maori-Bengel, der ihm hörig ist.‹ Wie hätte ich da deiner Ansicht nach reagieren sollen? Andy McAran entlassen? Wo er nichts anderes sagt als die Wahrheit?«
    Andy McAran gehörte zu den ältesten Arbeitern auf Kiward Station. Ebenso wie James war Andy schon hier gewesen, bevor Gwyneira als Braut des Hoferben, Lucas Warden, nach Neuseeland geschickt worden war. Zwischen Andy, James und Gwyn gab es eigentlich keine Geheimnisse.
    Gwyneira behielt ihren provozierenden Tonfall somit auch nicht bei. Stattdessen ließ sie sich mutlos auf der Kante ihres Bettes nieder. Monday schmiegte sich sofort an ihre Beine, um gekrault zu werden.
    »Was sollen wir denn sonst tun?«, fragte sie, die Hündin streichelnd. »›In den Griff kriegen‹ hört sich einfach an, aber Kura ist kein Hund oder ein Pferd. Ich kann ihr nicht einfach befehlen ...«
    »Gwyn, deine Hunde und Pferde haben dir immer gern gehorcht, auch ohne Gewalt. Weil du sie von Anfang an richtig erzogen hast. Liebevoll, aber konsequent. Nur Kura lässt du alles durchgehen! Und Marama war da auch nie eine Hilfe.« James hätte seine Frau gern in die Arme genommen, um seinen Worten die Schärfe zu nehmen, überlegte es sich dann aber anders. Es wurde Zeit, dass die Sache ernsthaft zur Sprache kam.
    Gwyneira biss sich auf die Lippen. Sie konnte es nicht leugnen. Niemand hatte Kura-maro-tini, der Erbin von Kiward Station und Hoffnungsträgerin sowohl des örtlichen Maori-Stammes als auch der weißen Gründer der Farm, jemals wirklich Grenzen gesetzt. Weder von den Maoris, die ihre Kinder ohnehin nicht streng erzogen, sondern ihre Disziplinierung getrost dem Land überließen, in dem sie überleben mussten, noch von Gwyneira, die es eigentlich besser hätte wissen müssen. Schließlich hatte sie schon bei ihrem Sohn Paul, Kuras Vater, allzu sehr die Zügel schleifen lassen. Aber das war etwas anderes gewesen. Paul entstammte einer Vergewaltigung; Gwyneira hatte ihn nie wirklich lieben können. Das Ergebnis waren erst ein schwieriges Kind und dann ein zorniger, streitsüchtiger junger Mann gewesen, dessen
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