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Das Lied der Maori

Das Lied der Maori

Titel: Das Lied der Maori
Autoren: Sarah Lark
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Abtrieb der Schafe von den Sommerweiden hatte er erstmals mitreiten dürfen und war unbändig stolz darauf, hier »seinen Mann« zu stehen. James und Gwyneira McKenzie ging es ebenso. Beide waren jeden Tag aufs Neue glücklich über das Wunder dieses spät geborenen Kindes. Hatte doch keiner von ihnen mehr an Kinder gedacht, als sie sich nach endlosen Jahren der unglücklichen Liebe, der Trennungen, Missverständnisse und widrigen Umstände endlich das Jawort gaben. Gwyneira hatte ihr vierzigstes Lebensjahr damals bereits überschritten, und kein Mensch rechnete noch mit einer weiteren Schwangerschaft. Der kleine Jack hatte sich allerdings nicht darum gekümmert, sondern es fast etwas zu eilig gehabt: Sieben Monate nach der Hochzeit erblickte er das Licht der Welt, nach einer völlig unproblematischen Schwangerschaft und verhältnismäßig leichten Geburt.
    Trotz seiner gereizten Stimmung, die ihn die Auffahrt zum Haus jetzt in langen Schritten erklimmen ließ, lächelte James zärtlich beim Gedanken an Jack. Alles, was mit diesem Kind zu tun hatte, war einfach: Jack war unkompliziert, aufgeweckt, schlug bei der Farmarbeit hervorragend ein und wäre wohl auch ein sehr guter Schüler gewesen, wenn diese Miss Witherspoon sich nur ein kleines bisschen angestrengt hätte!
    James runzelte die Stirn. Schon der Gedanke an die junge Lehrerin, die Gwyneira zwei Jahre zuvor vor allem für ihre Enkelin Kura ins Haus geholt hatte, ließ seine Wut wieder aufflammen. Wobei er seiner Frau keinen Vorwurf machte: Kura-maro-tini, die Tochter ihres Sohnes aus erster Ehe und dessen Maori-Frau Marama, benötigte dringend eine Erzieherin von außerhalb. Gwyneira – erst recht ihrer Mutter Marama – war das Mädchen längst über den Kopf gewachsen. Dazu war zumindest Gwyn nicht gerade die begnadetste Pädagogin. So viel Geduld sie mit Pferden und Hunden aufbrachte, so schnell verlor sie die Nerven, wenn sie jemanden beim ungelenken Zeichnen von Buchstaben beaufsichtigen sollte. Marama war da gelassener, doch sie hatte zwei Jahre zuvor wieder geheiratet und daher andere Interessen. Außerdem hatte sie selbst nur Helens improvisierte Schule im »Busch« besucht – und für die Erbin von Kiward Station wünschte Gwyneira sich denn doch eine umfassendere Bildung.
    Heather Witherspoon schien die ideale Wahl gewesen zu sein – auch wenn James argwöhnte, dass Gwyn sich vor allem deshalb für diese Gouvernante entschieden hatte, weil ihr Vorname »Heather« ein bisschen wie »Helen« klang. James hätte Gwyneira jederzeit zugetraut, die komplette Mannschaft für eine Schererkolonne zusammenzustellen. Aber was die Beurteilung der Qualifikation von Lehrpersonal anging, fehlten ihr die Kenntnisse und das Interesse. Die Entscheidung war denn auch schnell und flüchtig gefallen – und nun hatten sie diese Heather am Hals, die zwar sicher hochgebildet war, aber im Grunde selbst noch ein halbes Kind, nicht minder verwöhnt als ihr Zögling Kura. James hätte sich längst wieder von ihr getrennt; heute war es nicht mehr so, dass eine Passage nach Neuseeland eine Reise fürs Leben sein musste. Seit es Dampfschiffe gab, war die Überfahrt kürzer und sicherer. Binnen acht Wochen hätte Miss Witherspoon ihre Talente wieder in England entfalten können. Damit hätte man jedoch gegen den ausdrücklichen Willen Kura-maro-tinis gehandelt, die sich gleich mit ihrer neuen Gouvernante angefreundet hatte. Und einen Wutanfall dieses Kindes hätten weder Gwyneira noch Marama riskiert!
    James knirschte vor Zorn mit den Zähnen, während er seinen Mantel im Eingangsbereich des Hauses ablegte. Ursprünglich war es die Diele eines noblen Empfangszimmers gewesen, mit einer Silberschale auf einem kleinen Beistelltisch zum Ablegen von Visitenkarten. Inzwischen hatte Gwyneira das Schälchen längst entfernt. Sowohl sie als auch die Maori-Hausmädchen empfanden es als überflüssig, ständig das Silber zu putzen. Stattdessen stand dort nun eine Blumenvase mit Zweigen des einheimischen Rata- Strauches und machte den Raum heimelig.
    James konnte der Anblick an diesem Tag allerdings nicht besänftigen; nach wie vor hegte er Groll auf die junge Lehrerin. Seit nun schon zwei Jahren schauten die McKenzies zu, wie Miss Witherspoon ihre Pflichten gegenüber Jack und den anderen Kindern sträflich vernachlässigte! Dabei sah ihr Vertrag ausdrücklich vor, dass sie neben den Privatstunden für Kura auch für die grundlegende Bildung der Kinder im Maori-Dorf zu sorgen hatte. Sie
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