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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau
Autoren: Wolf Serno
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nennen. Der Eine, der Große, der Allmächtige ist unteilbar.«
    »Fehlt nur noch ein Nachname für euch beide«, meinte der praktisch denkende Listig. »Dann kannst du bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag studieren, Klingenthal, ohne dass jemand etwas von deiner Vergangenheit ahnt. Denn eines dürfte feststehen: Du siehst heute ganz anders aus als damals.«
    Nachdem nun alles geklärt war, erwies sich die Namensfindung als unerwartet schwierig, denn Alena sprach sich für einen Nachnamen aus, der an ihre Vergangenheit anknüpfte, nämlich Karmelus, und Klingenthal bevorzugte Neuberger, entsprechend jenem Zacharias Neuberger, der ihm so meisterhaft das Anfertigen von lebensgroßen Puppen beigebracht hatte. Die Rede ging hin und her, bis man sich – wie zuvor – auf eine dritte Lösung einigte. Es war der Vorname von Klingenthals Vater: Abraham.
    »Julius Abraham, ei, das klingt hübsch!«, rief Listig.
    »Bin satt«, brummte Pausback. Er hatte alle Kartoffeln aufgegessen. Doch keiner fand Zeit, auf ihn einzugehen.
    Alena richtete sich die Haare und blickte kokett in die Runde. »Gestatten: Alena Abraham!«
    »Guten Morgen, Frau Abraham!« In Klingenthals Stimme schwang Zärtlichkeit mit. Er küsste Alena, was Listig zu Beifallsrufen veranlasste und Pausback leicht erröten ließ, besonders, als Alena den Kuss erwiderte.
    »Los, Pausback, du mein Gehwerkzeug, worauf wartest du noch?«, rief Listig. »Heb mich hoch, auf zum Fleppenfackler! Drei Meilen westlich von Eddigehausen sitzt einer im Wald, der ist mir noch was schuldig. Bestimmt wird er mir den kleinen Gefallen tun!«
    »Wir kommen mit«, sagte Klingenthal und wollte sich erheben, aber er wurde von Listig zurückgehalten. »Besser, ihr wartet hier, ihr zwei Turteltäubchen. Der Mann ist misstrauisch, er heißt Pfister, kommt aus dem Land der Eidgenossen und ist die fleischgewordene Vorsicht. Ich kenn ihn noch aus meiner Zeit als Räuber.«
    Klingenthal fügte sich widerstrebend.
    »In ein paar Tagen sind wir zurück und machen euch zu neuen Menschen.«
    Aber so schnell, wie das seltsame Gespann fortwollte, ging es doch nicht, denn es galt, noch einiges vorher zu klären, als da waren: Geburtsdatum der Eheleute, Ort der Geburt, Datum der Eheschließung, Ort der Eheschließung und so weiter. Aber irgendwann war auch das geregelt, und Pausback und Listig zogen winkend von dannen.
    Wenige Schritte später allerdings blieb Pausback noch einmal stehen. Er drehte sich um und brummte scheu: »Hm, hm, Alena, Raben werden nicht weiß, sie werden’s nicht, aber du und Klingenthal, ihr sollt heiraten.«
    Tränen der Rührung traten in Alenas Augen. »Ja«, sagte sie leise. »Ja.« Sie hakte sich bei Klingenthal unter, und dieser sagte nachdenklich: »Pausback ist etwas langsam von Begriff, aber er hat mehr Gemüt und Verstand, als viele glauben.«
    »Bestimmt hat er das. Und er ist so sanft, dass man ihn immerzu beschützen möchte.«
    »Dafür sorgt Listig schon. Auch wenn er den Riesen wie ein Dragoner herumkommandiert.« Klingenthal blickte dem ungleichen Paar mit ernstem Gesicht nach. »Ich hoffe, wir machen alles richtig, Liebste.«
    »Das hoffe ich auch, Klingenthal.«
     
     
    Klingenthal, der sich nun Abraham nannte, und Alena marschierten mit stetem Schritt nach Süden. Der Weg war anstrengend gewesen, doch die Hannoversche Heerstraße, auf der sie die letzte Stunde gegangen waren, wurde allmählich besser. Sie wurde fester und breiter und führte, von Norden kommend, durch das Wehnder Tor direkt nach Göttingen hinein. »Lass uns einen Augenblick verschnaufen, Liebste«, sagte Abraham und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Die Mittagsstunde ist eben vorbei und die Stadt schon fast erreicht. Wir werden uns am Nachmittag ohne Hast nach einer Bleibe umsehen können.«
    Alena blieb stehen und ließ ihren Blick über die ausgedehnte Silhouette schweifen. Hohe Kirchtürme bestimmten das Bild, dazu ein Meer von Dächern und im Vordergrund ein Wall, der schon vor vielen Jahren entfestigt und mit Linden bepflanzt worden war. »Die Stadt ist hübsch«, sagte sie, »und irgendwie einladend. Nicht so groß wie Potsdam.«
    Abraham legte Alena den Arm um die Schultern. »Ich freue mich, dass du das sagst, Liebste. Sie soll für die nächsten drei Jahre unsere Heimat sein. Der Erhabene, dessen Name und Barmherzigkeit gepriesen sei, möge uns beschützen.«
    Alena lächelte und hob den Zeigefinger. »Vergiss nicht, dass du jetzt Protestant bist, Klingenthal, äh, ich meine
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