Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
Paschtunen, nicht umhinkam, ihm zu glauben. »Warum hast du dich nicht gleich gemeldet?«, fragte sie. »Und warum hast du uns so lange warten lassen?«
    »Ich wollte Sie beobachten«, erklärte der Junge mit entwaffnendem Lächeln. »Du wolltest - uns beobachten?«
    »Nein, Lady Kincaid.« Er schüttelte den Kopf. »Ich wollte Sie beobachten. Bisweilen verraten die Menschen mehr durch ihr Handeln als durch ihre Worte.«
    Sarah war wie vom Donner gerührt. Sie hatte diese Worte schon einmal gehört. An einem anderen Ort, in einer anderen Stadt, zu einer anderen Zeit. »Woher weißt du, wer ich bin?«, fragte sie forschend. Bei allen Recherchen, die er angestrengt hatte, hatte Hingis stets beteuert, ihren Namen außen vor gelassen zu haben. Schließlich wollten sie nicht die Aufmerksamkeit ihrer Feinde wecken. »Wir wissen vieles«, erklärte Ufuk achselzuckend. »Ihr?«, fragte Sarah skeptisch. »Mein Meister und ich.«
    »Dein Meister?« Sarah schöpfte Hoffnung. »Soll das heißen, dass du nicht ...?«
    »Dass ich nicht derjenige bin, den Sie suchen?«, brachte der Junge den Satz in seinem singenden Englisch zu Ende. »Aber ja, Lady Kincaid. Genau das bedeutet es. Nicht ich bin es, den Sie treffen wollen, sondern mein Meister - und er gab mir den Auftrag, Sie zu beobachten und ihm dann Bericht zu erstatten.«
    »Und?«, fragte Sarah einigermaßen verblüfft. »Was hast du gesehen?«
    »Nichts Gutes, fürchte ich«, entgegnete Ufuk, und seine eben noch so unbekümmerten Züge verfinsterten sich. »Da ist Licht, aber auch viel Schatten. Viel Zorn und Hass ... keine Geduld ...«
    »Bursche!« Friedrich Hingis fühlte sich an dieser Stelle bemüßigt einzugreifen. »Es steht dir nicht an, Lady Kincaid auf diese Weise zu kritisieren. Willst du dir anmaßen, beurteilen zu können, was sie durchgemacht hat? Oder glaubst du, in ihr Herz sehen zu können?«
    »Nein«, gab der Junge zu, »das kann niemand. Das Auge kann nur beurteilen, was es sieht ...«
    »So ist es«, knurrte der Schweizer.
    »... was bedeutet, dass wir wohl noch einige weitere Tage abwarten müssen, bis sich Lady Kincaids wahre Gesinnung zeigt«, brachte Ufuk seinen Satz zu Ende. »Was?«, fragte Sarah aufgebracht.
    »Wir warten noch eine Woche«, sagte der Junge mit einer Entschiedenheit, die keinen Widerspruch duldete. »In dieser Zeit werde ich Sie weiter beobachten. Treffen Sie mich in einer Woche wieder hier, dann werde ich Sie zu meinem Meister ...«
    »Nein!«, schnitt Sarah ihm das Wort ab. »Ich werde keinesfalls noch eine weitere Woche warten.«
    »Lady Kincaid.« Ein unschuldiges Lächeln glitt über die Züge des Jungen. »Ich fürchte, Sie haben keine andere Wahl.«
    »Das sehe ich anders«, schnaubte sie. »Sag deinem Meister, dass er nicht versuchen sollte, Spiele mit mir zu spielen, wenn er die Belohnung haben will.«
    »Lady Kincaid«, sagte Ufuk noch einmal, und sein Lächeln nahm einen fast mitleidigen Ausdruck an. »Meinem Meister ist nicht an Ihrem Gold gelegen. Sein Leben ist der Anhäufung von Wissen gewidmet, nicht der von weltlichem Besitz. Sie sehen also, es gibt nichts, womit Sie seine Entscheidung beeinflussen könnten. Leben Sie wohl.«
    Damit wandte er sich um und verließ das Kaffeehaus, und schon im nächsten Moment hatte die Menge ihn verschluckt.
    »Also so was!«, entrüstete sich Hingis und stemmte die Arme in die Hüften. »Das ist doch unerhört! Wenn ich gewusst hätte, dass dieser Lümmel ... Sarah?«
    Der Schweizer brauchte einen Moment, um festzustellen, dass seine Begleiterin gar nicht mehr neben ihm stand. Stattdessen sah er sie plötzlich draußen auf dem Basar, wo sie die Verfolgung des Jungen aufnahm.
    »Sarah! Warten Sie ...!«
    Rasch setzte er sich den Zylinder wieder auf und stürzte ebenfalls nach draußen - der Paschtune hatte sich längst aus dem Staub gemacht. Ob er das Geld, das Hingis ihm zugesteckt hatte, dafür ausgeben würde, sich die Nase verbinden zu lassen, war fraglich. Wahrscheinlich würde er es nur in eine der zahlreichen Opiumhöhlen tragen, von denen es in der Hauptstadt der Osmanen mindestens ebenso viele gab wie im Londoner East End.
    Es fiel dem von Natur aus nicht gerade groß gewachsenen Schweizer alles andere als leicht, Sarah auf den Fersen zu bleiben. Ein gutes Stück vor sich sah er ihren Fes aus dem Meer der Köpfe ragen, doch ein zweirädriger Karren, auf dem sich frisch geschlachtetes Hammelfleisch türmte, hinderte ihn daran, zu ihr aufzuschließen. Endlich bog der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher