Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens
Autoren: Jennifer Donnelly
Vom Netzwerk:
er seine Kleider aus, übergoß sie mit Kerosin und verbrannte sie. Auch über den Kopf goß er sich welches, und Lawton kämmte ihm die toten Läuse aus dem Haar.
    Währenddessen machte Mama Wasser heiß und füllte es in unsere große Zinkbadewanne. Dann nahm Pa in der Mitte der Küche ein Bad, sein erstes seit Monaten. Nachdem er sauber war, gab es ein Festmahl. Schinkensteaks mit Soße. Kartoffelbrei mit ganzen Seen flüssiger Butter darin. Den letzten Mais und die letzten Bohnen. Warme weiche Brötchen. Und zum Dessert einen Blaubeerpudding mit den letzten eingeweckten Beeren. Danach gab’s für jeden von uns Geschenke. In den Wäldern gab es zwar keine Läden. aber wenn die Männer ihr Geld ausbezahlt bekamen. machten Hausierer die Runde in den Holzfällerlagern. Lawton etwa bekam ein Federmesser und wir Mädchen Bänder und Bonbons. Und Mama ein Glas Knöpfe und Stoff für ein neues Kleid. Vielleicht einen Baumwollsatin in genau derselben Farbe wie ein Rotkehlchenei. Oder ein kamelhaarfarbenes Schottenkaro. Einen smaragdgrünen Baumwollsamt oder starre gelbe Japanseide. Einmal brachte er ihr sogar Seidenrips mit. der genau die Farbe von Preiselbeeren hatte. Mama hielt ihn sich an die Wange und sah meinen Pa dabei an. dann legte sie ihn monatelang weg, weil sie es nicht über sich brachte, die Schere zu nehmen und ihn zu zerschneiden. Am Abend saßen wir alle dann am Kanonenofen, aßen Karamelbonbons und Schokolade, die Pa mitgebracht hatte, und lauschten seinen Geschichten. Er zeigte uns all die frischen Narben, die er sich zugezogen hatte, erzählte uns komische Geschichten von den wilden Holzfällern, wie gemein der Chef, wie schlecht das Essen gewesen war und welche Streiche sie dem Koch und dem armen Küchenjungen gespielt hatten. Die Abende, an denen Pa aus den Wäldern zurückkam, waren schöner als Weihnachten.
    Dieses Jahr war er nicht in die Wälder gegangen. weil er uns nicht allein lassen wollte. Doch ohne das Geld, das er dort verdiente, war es schwer gewesen. Den Winter über hatte er beim Eisschneiden am Fourth Lake geholfen, aber die Bezahlung war nicht so gut wie beim Holztransport, und die jährliche Steuer auf unser Land verschlang ohnehin alles. Während ich dastand und das Geschirr abtrocknete, hoffte ich. daß die Tatsache, daß wir vollkommen pleite waren. ihn bewegen würde, mir zuzuhören und mir sein Einverständnis zu geben.
    Schließlich hörte ich ihn in den Schuppen kommen. und dann stand er mit einem kleinen schnaufenden Bündel im Arm in der Küche. »Dieses Mistvieh von einer Sau hat vier ihrer Ferkel gefressen«, sagte er. »Alle. außer dem kleinsten. Ich werd es zu Barney legen. Die Wärme wird ihm guttun. Himmel, wie der Hund wieder stinkt! Was hat er denn gefressen?«
    Â»Wahrscheinlich hat er irgendwas auf dem Hof gefunden. Hier, Pa.« Ich stellte eine Schale Maisbrei auf den Tisch und rührte Ahornzucker hinein. Dann goß ich verdünnte Milch darüber und betete zu Gott. daß er nicht mehr verlangte.
    Wütend setzte er sich hin und rechnete sich wahrscheinlich aus, wieviel Geld er durch die toten Ferkel verloren hatte. »Hat deine Mutter gebraucht, einen ganzen Dollar gekostet, dieses Buch«, sagte er und machte mit dem Kopf ein Zeichen in Richtung des Lexikons, das noch immer aufgeschlagen auf dem Tisch lag. »Nie hat sie einen Penny für sich selbst verwendet und dann einen ganzen Dollar für das Ding rausgeworfen. Nimm’s weg, bevor Fett drauf kommt.«
    Ich brachte es ins Wohnzimmer zurück und schenkte Pa eine Tasse heißen Tee ein. Schwarz und süß, genau wie er ihn mochte. Ich setzte mich ihm gegenüber an den Tisch und sah mich im Raum um. Sah auf die rotweiß karierten Vorhänge, die gewaschen werden mußten. Auf die verblichenen Kalenderbilder von Beckers Farm- und Futterhandlung, die Mama an die Wand gepinnt hatte. Auf die angeschlagenen Teller und gelben Rührschüsseln im Regal über dem Ausguß. Auf das zersprungene Linoleum und den schwarzen Ofen. Auf Barney, der das Ferkel ableckte. Ich sah auf alles, was zu sehen war, auf manches sogar zweimal. und legte mir meine Worte im Kopf zurecht. Doch gerade, als ich den Mut aufbrachte, um den Mund zu öffnen, ergriff Pa das Wort.
    Â»Ich mach Zucker morgen. Der Saft fließt in Strömen im Moment. Ich hab schon an die hundert Gallonen. Wenn ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher