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Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens
Autoren: Jennifer Donnelly
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die Hände auf den Mund.
    Â»Mattie! Ada! Warum steht ihr hier rum und haltet Maulaffen feil?« keucht die Köchin und schleppt ihren schweren Leib die Stufen herauf. »Schließ das freie Zimmer auf, Mattie. Das neben dem Salon. Zieh die Rollos runter und leg eine alte Decke aufs Bett. Ada. geh und mach eine Kanne Kaffee und ein paar Sandwiches. Im Eisschrank liegen Schinken und Hähnchen. Jetzt macht schon!«
    Im Salon spielen gerade ein paar Kinder Verstecken. Ich jage sie hinaus und sperre die Tür eines kleinen Zimmers auf, das von Postkutschern oder Schiffskapitänen benutzt wird, wenn das Wetter zu schlecht ist. um weiterzufahren. Ich merke, daß ich die Decke vergessen habe, und laufe zum Wäscheschrank, um sie zu holen. Gerade als ich sie über die Matratze breite. kommt Mr. Crabb herein. Ich habe auch ein Kissen und einen schweren Quilt mitgebracht, weil sie völlig durchgefroren sein wird, wenn sie in nassen Kleidern im Freien geschlafen hat.
    Mr. Crabb legt sie aufs Bett. Die Köchin streckt die Beine der Frau aus und schiebt ihr das Kissen unter den Kopf. Dann kommen die Morrisons herein, gleich hinter ihnen Mr. Sperry, der Besitzer des Glenmore. Er starrt sie an, wird bleich und geht wieder hinaus.
    Â»Ich hol eine Wärmflasche und Tee und … und Brandy«, sage ich und sehe zuerst die Köchin, dann Mrs. Morrison und dann ein Bild an der Wand an. Überallhin, bloß nicht auf die Frau. »Soll ich? Soll ich Brandy holen?«
    Â»Sei still, Mattie. Dafür ist es zu spät«, erwidert die Köchin.
    Daraufhin zwinge ich mich, sie anzusehen. Ihre Augen sind trüb und leer, ihre Haut gelb wie Muskatellerwein. Auf ihrer Stirn ist eine häßliche Wunde, und ihre Lippen sind aufgeplatzt. Gestern hatte sie allein auf der Veranda gesessen und am Saum ihres Rocks gezupft. Ich brachte ihr ein Glas Limonade, weil es heiß war draußen und sie angegriffen aussah. Ich berechnete ihr nichts dafür. Sie sah aus, als hätte sie nicht viel Geld.
    Hinter mir bedrängt die Köchin Mr. Crabb. »Was ist mit dem Mann, mit dem sie zusammen war? Carl Grahm?«
    Â»Von ihm gibt’s keine Spur«, antwortet er. »Zumindest noch nicht. Wir haben das Boot, mit dem sie gekentert sind. In South Bay.«
    Â»Ich werde die Familie benachrichtigen müssen«, sagt Mrs. Morrison. »Sie ist in Albany.«
    Â»Nein, da kommt nur Grahm, der Mann, her«, wirft die Köchin ein. »Das Mädchen lebte in South Otselic. Ich hab im Fremdenbuch nachgesehen.«
    Mrs. Morrison nickt. »Ich ruf die Vermittlung an und versuche, mich mit einem Geschäft oder einem Hotel dort verbinden zu lassen. Oder mit sonst irgend jemandem, der der Familie was ausrichten kann. Mein Gott, was werd ich bloß sagen? Ach, ihre arme, arme Mutter!« Sie drückt sich ein Taschentuch an die Augen und eilt hinaus.
    Â»Sie wird noch einen zweiten Anruf machen müssen, bevor der Tag zu Ende ist«, sagt die Köchin. »Wenn ihr mich fragt, haben Leute, die nicht schwimmen können, auf einem See nichts zu suchen.«
    Â»Zu sehr von sich überzeugt, dieser Bursche«, sagt Mr. Morrison. »Ich hab ihn gefragt, ob er mit einem Ruderboot umgehen kann, und das hat er bejaht. So was schafft nur ein Dummkopf aus der Stadt, an einem ruhigen Tag ein Boot zum Kentern zu bringen …« Er sagt noch mehr, was ich jedoch nicht höre. Ich habe das Gefühl, als würden mir Eisenbänder die Brust zudrücken. Ich schließe die Augen und versuche, tief zu atmen, aber das macht alles nur noch schlimmer. Ein Bündel Briefe, mit einem blaßblauen Band verschnürt, taucht vor meinem geistigen Auge auf. Briefe, die oben unter meiner Matratze liegen. Briefe. die zu verbrennen ich versprochen habe. Ich kann die Adresse darauf sehen:
Chester Gillette, 17 1/2 Main Street, Cortland, New York.
    Die Köchin schiebt mich aufgeregt von der Toten weg. »Mattie, zieh die Rollos runter, wie ich dir aufgetragen hab«, sagt sie. Sie faltet Grace Brown die Hände über der Brust und schließt ihr die Augen. »In der Küche gibt’s Kaffee und Sandwiches«, erklärt sie den Männern. »Möchten Sie etwas essen?«
    Â»Wir nehmen uns was mit, Mrs. Hennessy, wenn’s recht ist«, antwortet Mr. Morrison. »Wir gehen wieder raus. Sobald Sperry den Sheriff erreicht hat. Er ruft auch bei Martin’s an, um ihnen zu sagen, daß sie die Augen
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