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Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens
Autoren: Jennifer Donnelly
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aufhalten sollen. Und bei Higby’s und den anderen Hotels. Nur für den Fall, daß Grahm es ans Ufer geschafft und sich im Wald verirrt hat.«
    Â»Sein Name ist nicht Carl Grahm. Sondern Chester. Chester Gillette«, platze ich heraus, bevor ich mich zurückhalten kann.
    Â»Woher weißt du das, Mattie?« fragt die Köchin. Alle sehen mich plötzlich an – die Köchin, Mr. Morrison und Mr. Crabb.
    Â»Ich … ich glaub, ich hab gehört, daß sie ihn so nannte«, stammle ich, mit einemmal verängstigt.
    Die Köchin kneift die Augen zusammen. »Hast du was gesehen, Mattie? Weißt du etwas, das du uns sagen solltest?«
    Was hatte ich gesehen? Zu viel. Was wußte ich? Nur so viel, daß man für Wissen einen verdammt hohen Preis bezahlen muß. Miss Wilcox, meine Lehrerin, hat mir so viel beigebracht. Warum nur hat sie mich das nicht gelehrt?

Reiz • bar
    Meine jüngste Schwester, Beth, ist fünf und wird sicher eines Tages am Fluß arbeiten – flußaufwärts oben auf dem Damm stehen und die Männer unten lauthals warnen, daß Stämme runterkommen. Die Lunge dafür hat sie.
    Es war ein Frühlingsmorgen Ende März, noch keine vier Monate her, obwohl es schon viel länger zurückzuliegen scheint. Wir waren zu spät dran für die Schule, und es gab noch einiges im Haushalt zu tun. bevor wir uns auf den Weg machten, was Beth aber nicht weiter kümmerte. Sie saß einfach da, ignorierte den Maisbrei, den ich ihr gemacht hatte, und sang aus voller Kehle wie eine der Opernsängerinnen aus Utica. die in den Hotels auftreten. Bloß daß keine Opernsängerin je »Los, Harry« zum besten gab. Jedenfalls meines Wissens nicht.
    Los, Harry und Tom oder Dick oder Joe
    Geht mir Wasser holen!
    Sie nehmen den Eimer und trödeln herum
    Und tun nicht wie befohlen.
    Mitten in der Wasserschlacht ruft die Köchin
    Â»
Essen
«
!
    Und schon geht das Gerenne los,
    Aus Angst man wird vergessen.
    Â»Beth, jetzt sei still und iß deinen Brei«, schimpfte ich und flocht ihr das Haar. Aber sie hörte nicht, denn sie sang ihr Lied nicht für mich oder jemand anderen von uns. Sie sang es für den leblosen Schaukelstuhl am Ofen und für den verbeulten Fischkorb an der Schuppentür. Sie sang es, um all die leeren Plätze in unserem Haus zu füllen, um die Stille zu vertreiben. Meistens machte mir ihre Krakeelerei am Morgen nichts aus, aber an diesem Morgen hatte ich mit Pa etwas zu besprechen, etwas sehr Wichtiges, und war furchtbar genervt. Wenigstens einmal wollte ich Ruhe haben. Ich wollte, daß alles in Ordnung war und alle sich gut benahmen, wenn Pa hereinkam, damit auch er in guter Stimmung wäre und sich wohlwollend anhörte, was ich zu sagen hatte.
    Es gibt schwarzen Sirup und Hörnchen wie Stein,
    Der Tee stinkt nach Socken, doch wir hauen rein.
    Die Bohnen sind sauer, das Porridge eiskalt,
    Es schmeckt wieder prima, ab geht’s in den Wald.
    Die Küchentür flog auf, und Lou mit ihren elf Jahren ging mit einem Eimer Milch am Tisch vorbei. Sie hatte vergessen, ihre Stiefel auszuziehen, und hinterließ eine Spur aus Mist auf dem Boden.
    Â»Wir
ziehen unsre Träger hoch und binden unsre Schuh!
«
    Â»Beth, bitte!« sagte ich und band ihr eine Schleife um den Zopf. »Lou, deine Stiefel! Du hast noch deine Stiefel an!«
    Â»Und nehmen unsre Äxte …«
    Â»Was? Ich kann dich nicht verstehen, Matt«, sagte Lou. »Mann, jetzt halt doch mal die Klappe«, schrie sie und schlug Beth auf den Mund.
    Beth kreischte auf, wand sich und warf sich gegen die Stuhllehne. Der Stuhl kippte um und prallte gegen Lous Eimer. Die Milch schwappte über, und Beth stürzte zu Boden. Sie begann zu brüllen, Lou schrie. und ich wünschte, meine Mutter wäre hier, wie ich es mir jeden Tag wünsche. Mindestens hundertmal am Tag.
    Als Mama noch lebte, konnte sie für sieben Leute Frühstück machen, unsere Hausaufgaben abhören. Pas Hosen flicken, unsere Henkelmänner füllen, die Milch zum Sauerwerden ansetzen und Pastetenteig ausrollen. Alles gleichzeitig und ohne die Stimme zu heben. Ich kann von Glück reden, wenn mir der Brei nicht anbrennt und ich Lou und Beth davon abhalten kann, sich gegenseitig zu massakrieren.
    Abby, die vierzehn ist, kam herein, und brachte in ihrer Schürze vier braune Eier mit. Vorsichtig legte sie sie in eine Schüssel in den Schrank und sah
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