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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
Autoren: Cyrus Darbandi
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dann rufe ich dich an.«
    »Das sagst du doch nicht jetzt einfach so daher, um mich zu beruhigen, oder?«
    Es dauerte, bis Abraham wieder runterkam, sich das Adrenalin in ihm abbaute. Es half ihm dabei, zu fahren und sich auf die Straße, auf den Schnee zu konzentrieren. Unterwegs rief er seinen Bruder an. Robert nahm nicht ab. Er wiederholte die Anrufe in immer kürzeren Abständen, mit jedem Mal beunruhigter.
    Ich hatte dir doch gesagt, du solltest auf mich warten, dachte er verärgert.
    Als er seine Wohnungstüre öffnete, ahnte er schon vorher, dass Robert nicht mehr da war.
    Etwas ist geschehen, das ihn dazu bewogen oder gezwungen hat aufzubrechen, ohne auf mich zu warten oder mir eine Nachricht zu hinterlassen.
    Robert war verschwunden – so wie er es anscheinend immer tat, wenn es ernst wurde.
    Tu mir das nicht an, dachte Abraham und brach beinahe auf dem Küchenstuhl zusammen. Die Anspannung der letzten Stunde presste ihn wie die Nuss in einem Nussknacker gnadenlos zusammen, knackte ihn schließlich und ließ ihn gekrümmt und geschlagen zurück.
    Nach einiger Zeit kam er wieder zu sich, so als wäre er tatsächlich aus seinem Körper geschlüpft, um seinen Geist, seinen Intellekt vor dem Grauen, dem er begegnet war, in Sicherheit zu bringen. Abraham blinzelte verwirrt in der plötzlichen Fremde seiner Wohnung und rief den Namen seines Bruders. Wählte wieder dessen Nummer.
    Nichts. Es klingelte durch, aber niemand nahm ab. Auch die Mailbox schaltete sich nicht ein.
    Was ist dir geschehen?, dachte er. Hatten ihn Nagys Männer doch bis hierher verfolgt und nur darauf gewartet, dass sein Bruder, der Polizist, Robert alleine ließ, um ihn sich dann zu schnappen? Oder war etwas mit dieser Frau, die Robert anscheinend viel bedeutete … Selina Leifheit? Plötzlich kam er auf einen anderen Gedanken. Roberts Handy war eingeschaltet. Also konnte er es orten. Und damit vielleicht Robert finden.
    Er rief Kleber an.
    »Was brauchst du, Boss?«
    »Eine Handyortung. Und ich brauche sie schnell und ohne Wissen der hohen Tiere.«
    »Bekommst du. Ach, noch was. Sie ist weg.«
    »Wer?«
    »Pauline Lambert. Im ganzen Trubel ist sie ein wenig untergegangen. Sie ist einfach ganz nett rausspaziert. Was machen wir?«
    Sie weiß, dass ihr Freund tot ist; was sollte sie hier noch halten, dachte Abraham.
    »Nichts«, sagte er.

KAPITEL
FÜNFUNDVIERZIG
    Die Frau wimmerte vor Angst, als sie sie aus dem Kofferraum des Passats hievten und auf die Beine stellten. Sie torkelte wie eine Betrunkene, und Arschawin kniff ihr daraufhin aus reiner Bosheit in die Brandwunde an ihrem Oberschenkel. Dann riss er ihr das Klebeband ab, mit dem ihr Mund geknebelt war. Nur ihre Hände blieben gefesselt.
    Sie hatten Selina unter der Dusche erwischt, zwei Männer, vermummt, schnell und brutal, die wie Tiere über sie herfielen. Grischa warf ihr einen Bademantel über, sonst nichts, und deshalb fror sie entsetzlich. Zuerst brachten sie sie in die von Arschawin angemietete Wohnung, wo sie zum ersten Mal über ihren Vater befragt wurde. Dabei folterte sie Arschawin mit einem Zigarettenanzünder und einem kleinen Küchenmesser. Sie blieb dabei nackt, was ihre Panik noch steigerte, aber keiner der Männer rührte sie an – was diesen Aspekt anging. Sie erzählte ihnen, was sie wusste, und so erfuhren sie, dass Robert Abraham Mikosch schon am Wickel hatte.
    »Ich wusste, dass dem Kerl nicht zu trauen ist.« Befriedigt, dass er sich nicht getäuscht hatte, rief er Abraham an.
    Grischa setzte sich zu Selina und betrachtete sie, ihre Wunden, ihren Schmerz. In seinem Blick aber lag weder Mitleid noch wirklich Interesse an ihrem Schicksal. Seine Augen waren wie die eines Toten. Sie hatte noch nie in solche Augen geblickt.
    Er sagte: »Ich kann dir was gegen die Schmerzen geben.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Bringen Sie mich zurück«, flehte sie.
    »Das können wir nicht tun. Ihr Vater ist an allem schuld.«
    Arschawin kam zurück, ein fettes Grinsen im Gesicht.
    »Er besorgt uns Mikosch.«
    Sie fesselten und knebelten Selina und verfrachteten sie in den Kofferraum.
    »Okay, wie ist das?«
    »Was? Was ist wie?«
    »Töten. Wie fühlt sich das an?«
    Grischa sah zu, wie die Landschaft an ihm vorbeizog. Berlin, sich mit jeder weiteren Sekunde verändernd.
    Wurde zu Grosny.
    Wurde zu dem Dorf, aus dem er stammte.
    Erinnerung als Seelentopographie. Die Wahrheit dieser Erinnerung.
    »Ich erinnere mich an andere Leben«, flüsterte Grischa. Ich erinnere mich viel zu
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