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Das Licht der Phantasie

Das Licht der Phantasie

Titel: Das Licht der Phantasie
Autoren: Terry Pratchett
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nach Hause.
He, einen Augenblick! fügte er in Gedanken hinzu. Ich bin ja schon zu Hause. Mehr oder weniger. Na gut, dann möchte ich mich gründlich ausschlafen. Möglicherweise sieht morgen früh alles anders aus. Hoffentlich.
    Er sah das Oktav, von dem noch immer oktarine Funken stoben. Oh, fuhr es ihm durch den Sinn, das hätte ich fast vergessen…
    Rincewind griff nach dem Buch und blätterte müßig darin. Auf den Seiten zeigten sich komplizierte Schriftzeichen, die dauernd in Bewegung zu sein schienen und sich veränderten, während er den Blick auf sie richtete. Offenbar wußten sie nicht genau, auf welche Weise sie sich ihm darbieten sollten: Im einen Augenblick handelte es sich um ganz normale Symbole, die auf Schnörkelverzierungen verzichteten, und eine Sekunde später verwandelten sie sich in kantige Runen, aus denen unmittelbar darauf kythianische Zauberschrift wurde. Es folgten sonderbare, unheilvoll anmutende und nicht sehr ästhetische Piktogramme; hauptsächlich bestanden sie aus reptilienartigen Wesen, die sich aneinanderdrängten und seltsame Dinge anstellten…
    Die letzte Seite war leer. Rincewind seufzte und hielt in der Hinterkammer seines Bewußtseins nach dem Zauberspruch Ausschau. Die magische Formel beobachtete ihn unschlüssig.
    Rincewind hatte diese Gelegenheit herbeigesehnt, sich immer wieder vorgestellt, wie er den Zauberspruch zwang, ins Buch zurückzukehren, wie er wieder von seinem Kopf Besitz ergriff und all die geringeren Beschwörungen lernte, die sich bisher nicht in seinem Gedächtnis niederlassen wollten, weil sie sich zu sehr fürchteten. Enttäuscht stellte er fest, daß ihn nicht die erwartete Aufregung erfaßte.
    Seine Stimmung ließ sich recht treffend mit ›apathischer Entschlossenheit‹ beschreiben, die keinen Widerspruch duldete. Er starrte die thaumaturgische Formel kühl an und zeigte mit einem metaphorischen Daumen über die mentale Schulter.
    He, du. Raus!
Einige Sekunden lang hatte es den Anschein, als wolle der Zauberspruch Einwände erheben, doch klugerweise überlegte er es sich anders. Rincewind spürte ein leichtes Prickeln, sah ein blaues Gleißen hinter den Augen, woran sich das Gefühl plötzlicher Leere anschloß.
    Als er den Kopf senkte, sah er eine Seite voller niedergeschriebener Worte, die sich gerade in der Runen-Phase befanden. Der Magier seufzte erleichtert. Die Reptilien-Bilder waren häßlich, und außerdem hatte er nicht die geringste Ahnung, wie man sie aussprach. Hinzu kam, daß sie ihn an etwas erinnerten, das er nur schwer vergessen konnte.
    Mit ausdrucksloser Miene blickte er auf das Buch, während Zweiblum geschäftig hin und her eilte (ohne daß ihm jemand Beachtung schenkte) und sich Cohen vergeblich bemühte, die Ringe von den steinernen Fingern der Zauberer zu ziehen.
    Rincewind entsann sich daran, daß er irgend etwas unternehmen mußte. Aber was?
    Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die erste Seite und begann zu lesen. Seine Lippen bewegten sich lautlos, und die Spitze des Zeigefingers folgte den Konturen eines jeden Zeichens. Als er die einzelnen Worte murmelte, manifestierten sie sich geräuschlos über und neben ihm. Helle Farben leuchteten und verblaßten in der roten Nacht.
    Er blätterte um.
    Weitere Personen kamen die Treppe herauf: Sternenleute, gewöhnliche Bürger, sogar einige Leibgardisten des Patriziers. Einige graugesichtige und trübe starrende Männer, die noch immer nicht das Interesse an linken Ohren verloren hatten, schoben sich vorsichtig und zögernd auf Rincewind zu. Der Zauberer übersah sie und las weiter, hüllte sich in einen bunten Vorhang aus wirbelnden Buchstaben. Cohen zog sein Schwert und trat den selbsternannten Läuterern mit einem breiten Diamantengrinsen entgegen, woraufhin sie rasch zurückwichen.
    Die vornübergeneigte Gestalt Rincewinds emittierte Stille, die sich wie die kleinen Wellen in einer Pfütze ausbreitete. Sie strömte an den Mauern des Turms herab, spülte über die weit unten wartende Menge, floß über staubigen Boden, gischtete durch die Stadt und die angrenzenden Regionen.
    Nach wie vor glühte der neue Stern stumm über der Scheibenwelt. Anderenorts am Himmel drehten sich langsam und lautlos die neuen Monde.
    Das einzige Geräusch war Rincewinds heiseres Flüstern, als er Seite um Seite las.
    »Ist das nicht aufregend?« entfuhr es Zweiblum. Cohen drehte sich gerade eine Zigarette, die mehreren Stummeln eine teerige Wiedergeburt gewährte. Langsam ließ er das Papier
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