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Das Licht der Flüsse

Das Licht der Flüsse

Titel: Das Licht der Flüsse
Autoren: Aufbau
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halten. Es ist eine feine Sache, wenn man jemandem weismachen kann,
     dass er auf die eine oder andere Art in ein Geheimnis eingeweiht ist. Dann fühlt er sich bedeutender. Sogar die Freimaurer,
     die bis zum Überdruss bloßgestellt worden sind, bewahren sich so etwas wie Stolz; unter ihnen gibt es keinen Gemüsehändler,
     gleich wie ehrlich, harmlos und hohlköpfig er sich im Innersten fühlen mag, der nicht von der ungeheuren Wichtigkeit seiner
     Person überzeugt ist, wenn er von einer ihrer
coenacula
heimkehrt.
    Es ist eigenartig, wie glücklich zwei Menschen, wenn es denn zwei sind, an einem Ort leben können, an dem sie keine Bekannten
     haben. Ich glaube, der Anblick einer ganzen Lebenswelt, an der man keinen Anteil hat, lähmt das persönliche Verlangen. Man
     ist mit der Rolle des Zuschauers vollauf zufrieden. Der Bäcker steht an seiner Tür, der Oberst mit seinen drei Tapferkeitsmedaillen
     geht abends ins
café
, die Soldaten trommeln und trompeten und besetzen mutig wie eine Horde Löwen die Stadtmauern. Es wäre eine sprachliche Herausforderung,
     zu berichten, wie friedvoll man dies alles betrachtet. An einem Ort, wo man Wurzeln geschlagen hat, wird einem die Gleichgültigkeit
     ausgetrieben, man hat eine Hand im Spiel, hat Freunde, die in der Armee kämpfen. Doch in einer fremden Stadt, die weder klein
     genug ist, um rasch mit ihr vertraut zu werden, noch groß genug, als dass sie auf Reisende eingerichtet wäre, hat der Trubel
     so wenig mit der eigenen Person zu tun, dass man gar nicht erst auf die Idee kommt, näher zu treten. Es ist so wenig menschliches
     Interesse spürbar, dass man vergisst, selbst ein Mensch zu sein. Vielleicht würde man nach kurzer Zeit aufhören zu existieren.
     Naturapostel gehen in den Wald, wo das Leben um sie herumwimmelt und das Abenteuer in jeder Himmelsrichtung wartet. Es wäre
     weitaus zweckdienlicher, wenn sie ihr Lager in einer öden Kleinstadt aufschlügen, wo sie gerade so viel von der Menschheit
     sehen, um den Wunsch nach mehr zu verhindern, und nur die schale Hülle des Erdenlebens erblicken. Diese Äußerlichkeiten erscheinen
     uns so leblos wie Formalitäten und sprechen zu unseren Augen und Ohren in ausgestorbenen Sprachen. Sie gehen über die Bedeutung
     eines Fluchs oder einer Begrüßung nicht hinaus.Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, Ehepaare sonntags in die Kirche gehen zu sehen, dass wir vergessen haben, was sie verkörpern;
     und Schriftsteller werden dazu getrieben, nichts Geringeres als den Ehebruch zu rehabilitieren, wenn sie beweisen möchten,
     wie schön es für einen Mann und eine Frau ist, füreinander zu leben.
    Ein Einwohner von Maubeuge aber zeigte mir etwas mehr als sein Äußeres. Es war der Omnibusfahrer des Hotels: Soweit ich mich
     erinnere, ein recht bösartig aussehender kleiner Mann, doch mit einem besonderen Funken Menschlichkeit in seiner Seele. Er
     hatte von unserer kleinen Reise gehört und trat gleich mit neidischer Verbundenheit an mich heran. Er erzählte mir, wie sehr
     er sich danach sehne, zu reisen! Wie sehr er sich danach sehne, irgendwo anders zu sein, die Welt zu umrunden, bevor er ins
     Grab sinke! »Hier bin ich«, sagte er. »Ich fahre zum Bahnhof. Schön. Und dann fahre ich zurück zum Hotel. Und so geht das
     jeden Tag und die ganze Woche. Herrgott, ist das ein Leben?« Ich konnte das nicht bejahen – nicht für ihn. Er drängte mich
     zu erzählen, wo ich gewesen bin und wohin ich noch zu reisen hoffe, und als er mir zuhörte, ließ der Bursche doch tatsächlich
     einen Seufzer vernehmen. Hätte er nicht ebenso gut ein tapferer Afrikaforscher sein oder auf den Spuren von Francis Drake
     in die Karibik segeln können? Doch für zigeunerhafte Naturen unter den Menschen ist dies ein schlechtes Zeitalter. Derjenige,
     dem es am besten gelingt, sich gerade auf einem dreibeinigen Hocker zu halten, erlangt Ruhm und Reichtum.
    Ich frage mich, ob mein Freund immer noch den Omnibus für das
Grand Cerf
kutschiert. Ich denke, das ist eherunwahrscheinlich, vielmehr vermute ich, dass er kurz vor der Meuterei stand, als wir durchreisten, und womöglich hat unsere
     Begegnung seinen Entschluss gefestigt. Da ist es doch tausendmal besser, wenn er als Vagabund endet, Töpfe und Pfannen am
     Wegesrand repariert, unter Bäumen schläft und jeden Tag den Sonnenauf- und -untergang an einem neuen Horizont erblickt. Sie
     denken wohl, einen Omnibus zu fahren sei ein ehrenwerter Beruf? Nun gut. Welches Recht hat derjenige, der
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