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Das Letzte Ritual

Das Letzte Ritual

Titel: Das Letzte Ritual
Autoren: Yrsa Sigurdardottir
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sind auch Informationen über Haralds Leben. Sie sind streng vertraulich und nichts für zart Besaitete. Ich vertraue darauf, dass Sie diese Fakten für sich behalten, falls Sie beschließen sollten, den Fall nicht anzunehmen. Die Familie möchte nicht, dass das hier an die Öffentlichkeit gelangt.«
    Er nahm die Hand von der Mappe und schaute Dóra in die Augen. »Ich möchte das Unglück der Familie nicht noch verschlimmern.«
    »Ich verstehe«, antwortete Dóra. »Ich kann Ihnen versichern, dass ich nicht über meine Arbeit … tratsche.« Sie fixierte ihn und fügte bestimmt hinzu: »Niemals.«
    »Gut.«
    »Aber da Sie all dies schon zusammengetragen haben – wofür brauchen Sie mich da noch? Sie scheinen Zugang zu Informationen zu haben, die ich sicher nicht bekommen würde.«
    »Möchten Sie wissen, warum wir Sie brauchen?«
    »Ich glaube, das habe ich gerade gesagt«, konterte Dóra.
    Er atmete hektisch durch die Nase. »Ich will Ihnen sagen, warum. Ich bin Ausländer in diesem Land und außerdem Deutscher. Wir müssen mit verschiedenen Leuten sprechen, die mir niemals etwas Wichtiges anvertrauen würden. Ich habe nur ein bisschen an der Oberfläche gekratzt und die meisten Informationen über Haralds Privatleben in Deutschland erhalten. Ich bin kein Mann, mit dem man gern über unangenehme und heikle Privatangelegenheiten spricht.«
    »Ja, das ist mir klar«, rutschte es Dóra heraus.
    Der Mann lächelte zum ersten Mal. Es überraschte Dóra, wie schön sein Lächeln war, offen und ehrlich, trotz seiner unnatürlich weißen, geraden Zähne. Sie musste zurücklächeln, fügte dann aber irritiert hinzu: »Über welche unangenehmen Dinge soll ich denn mit den Leuten reden?«
    Sein Lächeln verschwand so schnell, wie es erschienen war. »Sexuelle Würgespiele, Folter, Okkultismus, Misshandlungen des eigenen Körpers und andere abnorme Verhaltensweisen ernsthaft geschädigter Personen.«
    Dóra erstarrte. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich weiß, worauf das alles hinausläuft.« Von sexuellen Würgespielen hatte sie noch nie etwas gehört – wenn Würgespiele etwas mit erwürgen zu tun hatten, dann würde sie nichtsexuelle Spiele vorziehen, die einzigen, die sie zurzeit praktizierte.
    Als sein Lächeln zum zweiten Mal erschien, war es nicht mehr ganz so charmant wie zuvor. »Oh, das werden Sie schon noch herausfinden. Haben Sie da mal keine Sorge.«
    Sie tranken ihren Kaffee, ohne weitere Worte zu wechseln, und dann nahm Dóra die Mappe und machte sich bereit, wieder zurück in die Kanzlei zu gehen. Sie verabredeten sich für den darauffolgenden Tag und verabschiedeten sich.
    Als Dóra gerade den Tisch verlassen wollte, legte er seine Hand auf ihren Arm.
    »Noch eine Sache, Frau Guðmundsdóttir.«
    Sie drehte sich um.
    »Ich habe vergessen, Ihnen zu sagen, warum ich davon überzeugt bin, dass der Mann, den die Polizei verhaftet hat, nicht der Mörder ist.«
    »Warum?«
    »Man hat Haralds Augen nicht bei ihm gefunden.«

3. KAPITEL
    Dóra hatte normalerweise keine Angst vor Taschendieben, aber auf dem Rückweg von ihrer Besprechung mit Matthias hielt sie ihre Tasche fest umklammert. Sie wollte sich nicht ausmalen, wie es wäre, den Mann anrufen und ihm mitzuteilen zu müssen, die Unterlagen seien gestohlen worden. Sie war froh, als sie die Tür zur Anwaltskanzlei öffnete.
    Schwerer Zigarettenqualm schlug ihr entgegen. »Bella, du weißt doch, dass hier Rauchverbot ist.«
    Bella hechtete vom Fenster weg und ließ hektisch etwas fallen. »Ich hab nicht geraucht.« Während sie dies sagte, kräuselte sich ein sehr schmaler Rauchstreifen aus ihrem Mundwinkel.
    Dóra stöhnte innerlich. »Ach so, dann steht wohl nur dein Mund in Flammen. Mach das Fenster zu und rauch in der Kaffeestube. Das ist gesünder, als aus dem Fenster zu hängen.«
    »Ich hab nicht geraucht, ich hab Tauben vom Fensterbrett verscheucht«, protestierte Bella beleidigt. Sie setzte sich an ihren Schreibtisch, ohne Dóra anzuschauen.
    Dóra beschloss, es gut sein zu lassen. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass es wenig Sinn hatte, sich mit dem Mädchen zu streiten. Sie ging in ihr Büro und schloss die Tür.
    Die prall gefüllte Mappe, die Matthias ihr gegeben hatte, war schwarz, was in Anbetracht ihres Inhalts auf gewisse Weise passend war. Der Ordner war nicht beschriftet. Es wäre ja auch schwierig gewesen, einen geschmackvollen Titel zu finden. »Leben und Tod des Harald Guntlieb«, murmelte Dóra vor sich hin, als sie die Mappe öffnete und
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