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Das letzte Koenigreich

Das letzte Koenigreich

Titel: Das letzte Koenigreich
Autoren: Bernard Cornwell
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Wolfskopfbanner gen Süden.
    Wir schrieben das Jahr 867, und ich zog zum ersten Mal in den Krieg.
    Dieser Krieg dauert bis heute.
    «Du wirst nicht im Schildwall kämpfen», sagte mein Vater.
    «Nein, Vater.»
    «Das können nur erwachsene Männer. Aber du wirst genau aufpassen, lernen und erkennen, dass der gefährlichste Hieb mit dem Schwert oder der Axt nicht der ist, den man kommen sieht, sondern der, den man nicht sieht, der Hieb, der am untern Schildrand vorbei auf die Fußgelenke zielt.»
    Unterwegs auf der langen Straße nach Süden gab er mir, wenn auch widerwillig, noch manch anderen Rat. Von den zweihundertfünfzig Männern, die mit uns von der Bebbanburg nach Eoferwic zogen, waren hundertzwanzig zu Pferde. Sie gehörten zur direkten Gefolgschaft meines Vaters oder waren wohlhabende Freisassen, die sich nicht nur ein Pferd, sondern auch Rüstung, Schild und Schwert leisten konnten. Den anderen fehlten dazu die Mittel, doch waren sie auf die Sache meines Vaters eingeschworen und marschierten mit Sicheln und Messern, Lanzen, Fischhaken, Äxten oder auch Pfeil und Bogen. Ein jeder war aufgefordert worden, eine Wochenration Nahrung mitzunehmen, die hauptsächlich aus hartem Brot, noch härterem Käse und geräuchertem Fisch bestand. Viele waren in Begleitung von Frauen. Mein Vater hatte dies zwar verboten, schickte die Frauen aber nicht zurück, weil sie dem Tross ohnehin weitergefolgt wären. Außerdem stand zu erwarten, dass die Männer unter den Augen ihrer Frauen oder Geliebten größeren Kampfesmut an den Tag legten, und er war davon überzeugt, dass diese Frauen mit ansehen würden, wie das northumbrische Heer den Dänen eine vernichtende Niederlage beibrachte. Er behauptete, dass unser Land die härtesten Männer Englands hervorbrächte, viel härter als die verweichlichten Mercien. «Deine Mutter war aus Mercien», fügte er hinzu und ließ es dabei bewenden. Er sprach nie von ihr. Ich wusste, dass die beiden nur ein knappes Jahr verheiratet gewesen waren, als sie nach meiner Geburt im Kindbett starb, dass sie die Tochter eines Aldermanns gewesen war und meinem Vater überhaupt nichts mehr bedeutete. Noch mehr als die Mercier verachtete er die verzärtelten Westsachsen. «In Wessex kennt man keine Not», sagte er. Sein strengstes Urteil aber sparte er sich für die Ostangeln auf. «Die leben im Sumpf», hatte er mir einmal gesagt, «und verhalten sich wie Frösche.» Wir, das Volk von Northumbrien, hassten die Ostangeln, seit sie uns vor langer Zeit in einer Schlacht geschlagen und Ethelfried getötet hatten, unseren König und den Gemahl von Bebba, nach der unsere Festung benannt worden war. Später erfuhr ich, dass die Ostangeln die dänischen Eroberer von Eoferwic mit Pferden und Winterquartieren versorgt hatten. Mein Vater verachtete sie also durchaus zu Recht. Sie waren verräterische Frösche.
    Pater Beocca begleitete unseren Zug nach Süden. Mein Vater hatte für den Priester nicht viel übrig, mochte aber nicht ohne einen Gottesmann, der für uns betete, in den
    Krieg ziehen. Beocca hingegen war meinem Vater treu ergeben, der ihn aus der Leibeigenschaft befreit und studieren lassen hatte. Ich vermute, Beocca wäre ihm selbst dann treu geblieben, wenn mein Vater den Teufel angebetet hätte. Beocca war jung, glatt rasiert und außergewöhnlich hässlich. Er hatte einen fürchterlichen Silberblick, eine platte Nase, einen Wust roter Haare und eine verkrüppelte linke Hand. Allerdings war er auch sehr klug, was ich aber damals eher gering schätzte, weil es mir nicht gefiel, von ihm unterrichtet zu werden. Der arme Mann gab sich große Mühe, mir das Schreiben und Lesen beizubringen, doch ich machte mich über seine Anstrengungen lustig und ließ mich lieber von meinem Vater verprügeln, als mich auf das Alphabet zu konzentrieren.
    Wir folgten der Römerstraße, die entlang der Tine bis an den großen Wall führte, der ebenfalls von den Römern gebaut worden war. Nach Ansicht meines Vaters waren die Römer Giganten gewesen, die großartige Bauwerke geschaffen hatten, dann aber nach Rom zurückgekehrt waren und, falls welche überlebt haben sollten, zu Priestern degeneriert waren. Die Straße der Giganten aber gab es noch, und während wir auf ihr nach Süden zogen, schlossen sich uns immer mehr Kämpfer an, sodass bald ein Großteil des Heers durch das sumpfige Land links und rechts der befestigten Straße marschieren musste. Nachts schliefen die meisten unter freiem Himmel; nur mein Vater und
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