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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment
Autoren: Philip Kerr
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nach dem Pekerman-Fall. Der Beamte nannte mir die Adresse, und ich fuhr zu einem hässlichen Gebäude auf der Calle Paso. Es gab keinen Zweifel: Argentinien hatte für mich eine Menge von seinem Charme eingebüßt.
    Eine dunkle Frau mit hässlichen Gesichtszügen kam zur Wohnungstür in der Etage über Isabel Pekerman. Sie hatte Haare wie ein Noriker. Viel davon wuchs auf ihren Wangen, nicht auf dem Kopf. Ihre Hautfarbe erinnerte an die Innenseiten einer Kaffeekanne.
    «Ist Anna da?», fragte ich.
    Die Frau rieb sich mit vage menschlich aussehenden Fingern das Chromagnon-Kinn und grinste unsicher, womit sie den Blick freigab auf Zahnlücken von der Größe der Tasten auf einer Schreibmaschine. Sie schien der lebende Beweis zu sein nicht nur für eine unwahrscheinlichepaläontologische Theorie, sondern auch – wichtiger noch – Durkheims Erstes Gesetz über Schwestern, welches da besagt, dass jede schöne Frau wenigstens eine richtig hässliche beste Freundin hat.
    «Wer will das wissen?»
    «Schon gut, Hannah», sagte eine Stimme aus dem Hintergrund.
    Die Freundin trat beiseite und hielt die Tür auf. Hinter ihr kam Anna in Sicht. Sie trug ein blau kariertes Gabardinekleid mit eingezogener Taille und hatte die Arme vor der Brust verschränkt, wie es Frauen tun, wenn sie einen am liebsten mit einem Nudelholz schlagen würden.
    «Wie hast du mich gefunden?», fragte sie, nachdem sich die Freundin in ein Zimmer zurückgezogen hatte.
    «Ich bin Detektiv, schon vergessen? Es ist mein Beruf. Leute finden. Manchmal finde ich sogar Leute, die gar nicht gefunden werden wollen.»
    «Da hast du allerdings recht, Gunther.»
    Ich schloss die Tür hinter mir und sah mich in der hässlichen kleinen Diele um. Es gab einen Hutständer, eine Fußmatte, einen leeren Hundekorb, der schon bessere Tage gesehen hatte, das allgegenwärtige Bild von Martel dem Tango-Sänger und die Tasche, die Anna in Tucumán dabeihatte.
    «Und? Hast du deinen Freunden bei der Geheimpolizei von deinen Freunden von der SS erzählt?»
    «Das ist sehr hübsch formuliert. Aber um deine Frage zu beantworten – ja, habe ich.»
    «Und?»
    «Ich denke, sie sind bereits auf dem Weg zu Kammler. Wie ich dir bereits im Zug zu erklären versucht habe, sind Kammlers Frau und Kind in Wirklichkeit jemand anderes Frau und Kind. Und ganz gleich, welches häusliche Glück sie miteinander geteilt haben, es ist jetzt vorbei.»
    «Und du glaubst, das wäre Bestrafung genug?»
    Ich zuckte die Schultern. «Bestrafung ist manchmal ein wenig wie Schönheit, weißt du? Subjektiv. Echte, lang anhaltende Bestrafung auf jeden Fall.»
    «Ich ziehe die Art von Bestrafung vor, die jeder verstehen kann.»
    «Wie beispielsweise öffentliche Exekution?»
    «Meinst du nicht, dass er es verdient hätte?»
    «Vielleicht. Aber wir wissen beide, dass es nicht dazu kommen wird. Auf lange Sicht vermute ich, dass er schon kriegen wird, was er verdient hat. Wir alle kriegen irgendwann unser Fett ab.»
    «Ich wünschte, ich könnte es glauben.»
    «Glaub es jemandem, der es wissen muss.»
    «Hmmm. Meinst du?»
    «Du bist eine harte Frau, Anna.»
    «Wir leben in einer harten Welt.»
    «Ganz recht. Und das ist der Grund, warum ich hier bin. Nachdem die Polizei weiß, was ich weiß, hat man mir geraten, das Land zu verlassen. Und um sicherzugehen, dass ich die Botschaft verstanden habe, hat man mich zu einem Flug an Bord einer Maschine ohne Kabinentür mitgenommen und mir den Río de la Plata aus fünfzehnhundert Meter Höhe gezeigt. Die Quintessenz lautet, dass ich entweder heute Abend an Bord der Fähre nach Montevideo sitze oder mir das Schiff von unten ansehe.»
    «Sie haben dir tatsächlich gedroht?»
    Ich lachte. «Wie du das sagst, klingt es viel netter, als es war, Anna. Man verband mir die Augen, schlug mich k.   o., fesselte mir die Hände auf den Rücken und gab mir eine letzte Zigarette. Um das Maß voll zu machen, warfen sie vor mir sechs Leute aus dem Flugzeug. Eine Weile dachte ich, du wärst auch dabei gewesen. Dann war ich an der Reihe. Hätte ich nicht die Informationen über Kammler und seine Frau und Tochter anbieten können, wäre ich morgen schon Haifischscheiße.» Ich stieß einen Seufzer aus. «Hör mal, können wir uns nicht setzen? Mir wird immer noch ganz anders, wenn ich darüber nachdenke.»
    «Ja, natürlich. Komm rein, bitte.»
    Wir gingen in ein auf künstlerisch getrimmtes Wohnzimmer, das mehr künstlich als alles andere wirkte. Alles war mit einem italienischen
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