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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment
Autoren: Philip Kerr
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Filigranmuster überzogen: Wände, Mobiliar, Türen, elektrischer Ventilator, ein Klavier, selbst eine Schreibmaschine. Außerdem gab es eine Malpalette und ein paar Pinsel auf einem filigran überzogenen Tisch.
    «Hannah ist Künstlerin», erklärte Anna.
    Ich nickte und dachte mir, dass ich wahrscheinlich zehn Minuten hatte, bevor Hannah kommen würde und anfing, mir ein Muster auf die Stirn zu malen. Vielleicht brauchte ich auch eines. Man kann es leid werden, Tag für Tag immer wieder das gleiche Gesicht im Spiegel zu sehen. Das ist der Grund, warum Leute heiraten.
    «Und?», fragte sie und setzte sich. «Was wirst du tun?»
    «Ich bin kein guter Schwimmer», antwortete ich. «Erst recht nicht mit hinter dem Rücken gefesselten Händen. Man hat mir klargemacht, dass ich den Rest meines Lebens tot verbringen   … oder aus Argentinien verschwinden kann. Also verschwinde ich aus Argentinien. Nach Montevideo. Heute Abend.»
    «Das tut mir leid», sagte sie und küsste meine Hand. «Es tut mir wirklich leid.» Sie stieß einen Seufzer aus. «Ich weiß gar nicht, warum ich überrascht bin. Die meisten Männer, die gut zu mir waren – und du warst gut zu mir, Bernie, denk nicht, ich wüsste das nicht zu schätzen, die meisten Männer sind irgendwann gegangen. Mein Vater meint, es käme daher, dass ich nicht weiß, wie ich einen Mann halten kann.»
    «Bei allem Respekt für deinen Vater, es ist ganz einfach, Engel. Ganz besonders in diesem Fall. Du musst nichts sagen. Du musst nichts tun. Außer mit mir kommen.»
    «Nach Montevideo?»
    «Warum nicht? Ich gehe nach Montevideo.»
    «Ich kann nicht weg, Bernie. Das ist mein Zuhause. Mein Vater und meine Mutter leben in Buenos Aires.»
    «Sie haben Russland verlassen, weil sie verfolgt wurden, richtig?»
    «Ja, aber das war etwas anderes.»
    «Ich glaube nicht, dass deine Tante und dein Onkel das genauso sehen würden.»
    «Du hast gesagt, du wärst nicht sicher, ob sie wirklich tot sind. Dass wir nicht wüssten, wer diese Leute waren. Dass es jeder hätte sein können.»
    «Wir wissen beide, dass ich das nur zu dir gesagt habe, um zu verhindern, dass du uns beide umbringst.»
    «Ja. Ich wünschte, ich hätte besser auf dich gehört. Du hattest recht. Manchmal ist es besser, nichts zu wissen. Ich dachte, tot ist tot, schlimmer kann es nicht kommen. Heute weiß ich es besser, aber vielleicht möchte ich es jetzt wieder vergessen.»
    «Ich bitte dich nicht um meinetwillen mitzukommen», sagte ich. «Sondern um deinetwillen. Die Geheimpolizei sucht dich. Man hat mir gesagt, dass es ratsam für dich wäre, das Land ebenfalls zu verlassen angesichts der Tatsache, dass du weißt, was ich weiß. Es tut mir wirklich leid, dass ich dir das sagen muss, Anna, aber ich mache mir Sorgen, was passiert, wenn du bleibst. Es könnte durchaus sein, dass du aus dem nächsten Flugzeug über dem Río de la Plata geworfen wirst.»
    «Ist das wieder eine von deinen Lügen? Damit ich mit dir komme?» Sie schob sich eine lange Haarsträhne aus den Augen und schüttelte den Kopf. «Ich kann nicht weg von hier. Ich will nicht.»
    Ich legte ihr die Hände auf die Schultern und rüttelte sie sanft.
    «Hör zu, Anna. Ich würde dich wirklich gern mitnehmen. Ich kann verstehen, wenn du nicht mit mir kommen willst. Nur – mit oder ohne mich – du musst weg aus Argentinien. Noch heute Nacht. Du musst ja nicht nach Uruguay. Wenn du möchtest, kaufe ich dir ein Ticket, wohin auch immer du willst. Gleich um die Ecke ist ein Reisebüro. Wir gehen hin, und ich hole dir ein Ticket nach Asunción. Oder La Paz. Wohin auch immer du willst. Ich gebe dirsogar Geld, damit du irgendwo neu anfangen kannst. Zehntausend amerikanische Dollar. Meinetwegen zwanzig. Aber du musst das Land verlassen. Du
musst

    «Ich kann nicht. Ich kann meine Eltern nicht im Stich lassen. Sie sind alt.»
    «Ich zahle auch für sie. Wir können sie nachholen, wenn wir in Montevideo sind. Es ist nicht so weit. Ich kaufe uns ein großes Haus, in dem wir alle wohnen können. Ich verspreche es dir. Es wird alles gut werden, wir werden zurechtkommen. Du musst mir glauben, Anna. Die Polizei weiß Bescheid über dich. Sie kennt deinen Namen. Sie weiß mit ziemlicher Sicherheit auch, wo du wohnst und wo du arbeitest. Das ist ernst, Anna. Eines Morgens in nächster Zukunft wirst du auf dem Weg zur Arbeit sein, und sie kassieren dich ein und bringen dich nach Caseros. Sie ziehen dich aus und vergewaltigen dich. Foltern dich. Und wenn sie mit dem
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