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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment
Autoren: Philip Kerr
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Aber wenn Sie mich als Ihren Bluthund beschäftigen, damit ich für Sie herumschnüffele, dann sollten Sie nicht so überrascht sein, wenn ich hin und wieder belle und in das Rosenbeet pinkle. Es mag Ihnen peinlich sein, aber so ist es nun einmal. Ich bin mir gelegentlich selbst peinlich.»
    «In Ordnung, Sie haben recht. Ich war vielleicht ein wenig unfair.»
    «Ein wenig unfair. Sie waren nicht ein einziges Mal fair, seit ich den Fuß auf argentinischen Boden gesetzt habe, Colonel! Ich will alles wissen. Die ganze verdammte Geschichte. Und wenn ich alles weiß, steige ich aus diesem Flugzeug und gehe ins Hotel zurück und nehme ein Bad. Und wenn ich anschließend zu Abend gegessen habe und mich wieder wie ein Mensch fühle und vor allen Dingen genügend über das nachgedacht habe, was Sie mir gleich sagen werden, dann werde ich Ihnen verraten, was Sie wissen wollen. Und Sie werden feststellen, dass ich die Wahrheit sage und dass Evita und von Bader so verdammt dankbar sein werden, dass sie mir sogar die versprochene Belohnung zahlen werden.»
    «Wie Sie wünschen, Gunther.»
    «Nein. Mit wünschen hat das nichts zu tun. Meine Wünsche gehen Sie nichts an.»

VIERUNDZWANZIG
BUENOS AIRES
1950
    Bis wir wieder auf dem Flughafen Ezeira gelandet waren, wusste ich fast alles. Fast. Ich wusste immer noch nicht, ob Anna Yagubsky tot war oder noch lebte. Ich suchte einen Münzfernsprecher und rief bei Annas Eltern an, die mir sagten, sie hätten ihre Tochter zwar seit unserer Reise nach Tucumán nicht gesehen, aber sie hätte ihnen eine Nachricht hinterlassen, dass sie für eine Weile bei einer Freundin unterschlüpfen würde.
    «Wissen Sie, wer diese Freundin ist?», fragte ich Roman Yagubsky.
    «Offen gestanden dachte ich, dass Sie diese Freundin sind.»
    «Wenn sie nach Hause kommt oder anruft, sagen Sie ihr bitte, dass ich sie sprechen muss. Dringend.»
    «Immer in Eile», sagte er.
    «Es liegt an dem Geschäft, in dem ich tätig bin.»
    «Haben Sie meinen Bruder schon gefunden.»
    «Genau genommen nicht.»
    «Was ist denn das für eine Antwort?»
    «Keine besonders eindeutige Antwort, aber ich werde mir deswegen nicht den Kopf zermartern. Wenn Sie glauben, dass meine Arbeit nicht zufriedenstellend war, können Sie sich weigern, mich zu bezahlen. Ich werde nicht mit Ihnen streiten. Aber wenn ich sage ‹Genau genommen nicht›, dann ist das ganz genau das, was ich meine. Definitive Antworten sind selten in meinem Geschäft. Es gibt Wahrscheinlichkeiten, und es gibt ‹Vielleicht› und ‹Genau genommen nicht›. Das sind die Antworten in den Spalten und Lückenzwischen den sicheren Antworten. Ich habe keine Beweise für meine Aussage, dass Ihr Bruder und Ihre Schwägerin tot sind. Ich habe ihre Leichen nicht gesehen. Ich habe ihre Totenscheine nicht gesehen. Ich habe mit niemandem gesprochen, der sie sterben sah. Und trotzdem weiß ich, dass sie beide tot sind. Es ist kein beweisbares Wissen, aber es ist Wissen. Tatsache ist, um Ihrer selbst willen und um meiner willen wäre es besser, wenn ich nichts mehr sage.»
    Yagubsky schwieg für eine Weile. Dann sagte er leise: «Ich danke Ihnen, junger Mann. Natürlich weiß ich schon seit einer Weile, dass sie tot sind. Wären sie noch am Leben, hätten sie sich mit uns in Verbindung gesetzt. Aber ein Bruder ist ein Bruder, und ein Zwilling ist ein Zwilling. Man fühlt sich verpflichtet, herauszufinden, was geschehen ist. Sich von jemand Unabhängigem, Unbeteiligtem sagen zu lassen, was man im Grunde längst weiß. Sie haben recht, es ist genau genommen kein echtes Wissen, aber es ist besser als nichts, oder? Deswegen, nochmals danke. Ich weiß Ihre Offenheit zu schätzen. Ganz zu schweigen von Ihrer Diskretion. Ich weiß, wer dieses Land regiert. Aber ich bin ein Jude, Señor Hausner, und ich bin daran gewöhnt. Vielleicht, wenn ich mehr Geld hätte und zehn Jahre jünger wäre, würde ich von hier weggehen und in Israel leben, aber ich bin nicht jünger, und ich habe kein Geld. Also sage ich, machen Sie’s gut, und mögen die Peróns sich weit von mir und den Meinen weghalten.»
    «Vergessen Sie bitte nicht, Señor Yagubsky, Anna Bescheid zu sagen. Sie soll mich anrufen. Ich bin in meinem Hotel.»
    «Ich weiß, ich weiß. Dringend. Deutsche. Jedes Mal, wenn Deutsche den Mund öffnen, höre ich eine Uhr ticken. Meine Güte, Hitler wäre vielleicht noch an der Macht, wenn er es nicht so furchtbar eilig mit allem gehabt hätte.»
     
    Am nächsten Morgen ging ich zum Jockey
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