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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land
Autoren: Walter Kohl
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nach Ost geführt habe.
    Genau genommen nach Süden, sagte der Sprecher meiner Auftraggeber.
    Ja. Aber da war Severinus schon tot.
    Eine lange Pause, ich sagte, als es mir peinlich wurde, ein Hallo, und: Sind Sie noch da? Künzing ist schlecht, sagte er.
    Warum?
    Wieder eine Pause. Wegen Bayern, sagte er dann. Bayern konnten wir nicht an Bord holen. Er schnaubte ins Telefon, sollte wohl ein grimmiges Lachen darstellen. Wir sind darüber nicht wirklich unglücklich. Die Bayern neigen dazu, alles an sich zu ziehen.
    Aber die Wunder von Künzing nehmen eine zentrale Stelle ein, sagte ich.
    Natürlich, sagte er. Erwähnen Sie sie. Aber nicht gleich zu Beginn. Er atmete zweimal tief durch, sagte dann hastig: Noch etwas. Salzburg ist noch schlechter. Vergessen Sie Salzburg völlig.
    Warum Salzburg?
    Niemand will etwas über Salzburg lesen. Salzburg ist ausgelutscht. Bernhard, Sie verstehen. Thomas Bernhard. Er hat Salzburg erledigt. Nach ihm ist jedes Schreiben über Salzburg ekelhaft. Ekelhafter als das Schreiben über Salzburg ist nur noch das über Rom oder Irland. Ich jedenfalls verstehe nicht, warum alle ständig etwas über Orte schreiben wollen, über die es nichts zu schreiben gibt.
    Salzburg hat sich geweigert, an der länderübergreifenden Landesausstellung teilzunehmen, oder?
    Eine Weile hörte ich nichts aus dem Handy. Ja, sagte dann der Sprecher meiner Auftraggeber schnell. Severin ist ein Heiliger für Arme, soll die Frau Landeshauptfrau geäußert haben, sagte er, und noch drastischere Ausdrücke sollen gefallen sein. Severin sei ein Heiliger für das Prekariat. Damit wolle Salzburg nichts zu tun haben. Salzburg sei Glanz und Gloria, Severin sei das Muffelige, das niemand sehen will.
    Also nichts mit Salzburg?
    Nichts mit Salzburg, bestätigte er. Auf meine Frage, was denn mit den in Salzburg und Umgebung handelnden Wundern des Severinus beziehungsweise ihrem Vorkommen im Aufsatz geschehen soll, gab er keine Antwort. Wir schwiegen uns an von Handy zu Handy, bis ich vorschlug, die Salzburg betreffenden Wundertaten nicht zu unterschlagen, sondern sie irgendwie geografisch unbestimmt mit dem Inn zusammenhängend vorkommen zu lassen. Inn sei zwar nicht ganz korrekt, denn Salzburg liege an der Salzach und nicht am Inn, aber wirklich wisse ohnehin niemand, dass die Salzach bei Braunau in den Inn münde, also doch etliche Dutzend Kilometer nördlich von Salzburg.
    Inn ist gut, sagte er erleichtert. Inn ja, Salzburg nein. Und legte auf.

9
    Ich ging durch das Dorf, in finsterer Nacht, die Häuser mehr erahnbar als sichtbar, dennoch wusste ich gleich, dass etwas nicht stimmte. Es war das Dorf von früher, ganz früher, nicht jenes, wie ich es kannte vom letzten Besuch vor sieben Jahren. Neben mir ging jemand und redete dauernd auf mich ein, nein, nicht jemand, etwas, ich konnte es nicht zuordnen, was das war. Habe ich zu lange von den Anishinaabe und den Füchsen und den Ojibbeway gelesen und zu viel versucht, mit ihren zuckerkranken und alkoholabhängigen Ururenkeln zu reden, dass meine Wahrnehmung ein wenig wurde wie ihre, dass die Realität schwammig wurde, kontingent und unverlässlich?
    Trat da etwas aus der Welt Neben Der Welt durch einen nicht definierten Vorhang in diese hiesige Donauraum-Welt des einundzwanzigsten Jahrhunderts herüber und versuchte, mit mir Kontakt aufzunehmen? Sollte ich mich ängstigen? Oder war das ein Verbündeter? War es mein Trickster? Tauchte in dem Dorf, in dem ich aufgewachsen war, auf einmal mein Kojote auf, um mir Streiche zu spielen, oder mein Rabe? Rabe würde besser passen, Begleiter und Einflüsterer Odins in diesem Markomannenland und dann Germanenland und dann Naziland. Oder flüsterte neben mir Ananse, die Trickster-Spinne aus Afrika, oder Kitsune aus Japan, der Fuchs, um mich zu verwirren und zum Lachen zu bringen, ja, Trickster, in letzterem Fall lache ich über mich selbst, weil mir nur das Kurzschlüssigste einfällt, nämlich eine nächtliche Heimsuchung für einen Shinto-Dämon namens Fuchs zu halten, weil ich, seit ich diesen Kontinent wieder betreten habe, mit einem Leihwagen der Marke Volkswagen fahre, der die Typenbezeichnung Fox trägt.
    Mein Verbündeter, ich hatte mich entschieden, die Sache positiv zu sehen, mein Verbündeter ging eine Spur schneller als ich, um mich zu überholen, dann drehte er sich zu mir, damit ich ihn betrachten konnte. Obwohl es noch immer finsterste Nacht war, konnte ich ihn deutlich sehen. Er oder vielmehr es murmelte dabei
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