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Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Titel: Das Leben ist ein listiger Kater. Roman
Autoren: Marie-Sabine Roger
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Tochter auch, deshalb wundert es mich nicht, es jagt mir vielmehr kalte Schauer über den Rücken! Aber wissen Sie, wir haben schon Schlimmeres gesehen. In dem Alter kommen sie normalerweise eher zum Schwangerschaftsabbruch. Letztes Jahr war die Jüngste gerade mal zwölf. Das weiß ich, weil ich eine Freundin habe, die im Gyn- OP arbeitet.«
    »Zwölf?!«
    »Ja, es ist ein Elend. Das Problem ist, dass Minderjährige für einen Schwangerschaftsabbruch die Einwilligung ihrer Eltern brauchen. Und es gibt immer ein paar, die nicht merken, dass sie schwanger sind, die ihr Baby unbedingt behalten wollen, die sich nicht trauen, darüber zu reden, oder deren Eltern gegen Abtreibung sind. Sie bleiben übrig wie Ihre Maëva. Schwanger, und dann …«
    »Gibt es davon viele?«
    »Nicht so viele, zum Glück. Aber immerhin sind es hier im Haus um die zehn pro Jahr, vor allem zum Schwangerschaftsabbruch, wie gesagt.«
    »Warum nehmen die Gören denn nicht die Pille?«
    »Das ist nicht so einfach. Um die Pille zu kriegen, braucht man ein Rezept. Das heißt, man muss zum Arzt. Mit einem Arzt
darüber
reden. Oder zu einer Beratungsstelle gehen. Die gibt es nicht überall, bei weitem nicht. Und was meinen Sie, was es für eine Zwölf- oder Dreizehnjährige bedeutet, vor allen Leuten in der Apotheke die Pille zu verlangen? Wenn ein Mann an der Kasse ist? Oder in einem kleinen Dorf?«
    »Andererseits, wenn sie reif genug sind, um Verkehr zu haben …«
    Myriam räumt sorgfältig ihre Siebensachen zusammen – Pinzetten, Kompressen, Desinfektionsmittel. Wie ein kleines Mädchen, das Krankenschwester spielt.
    Sie schüttelt den Kopf.
    »Glauben Sie, das ist eine Frage der Reife?«
    »…«
    »Die meisten von diesen Mädchen sind vom Kopf her wirklich erst zwölf oder dreizehn, mehr nicht, auch die, die wie Barbiepuppen aussehen! Es sind kleine Mädchen, die Frau spielen wollen oder die sich nicht trauen, ihrem Freund nein zu sagen, weil sie Angst haben, als Zicke dazustehen.«
    »Dann sollen sie doch ihrem Freund sagen, er soll Gummis benutzen, verdammt! Die sind doch frei verkäuflich, oder?«
    »Machen Sie es vielleicht gern mit Verpackung?«
    Das ist ein Schlag unter die Gürtellinie.
    Ich protestiere. Es geht hier nicht um mich.
    Sie lächelt.
    »Kommen Sie schon, im Ernst?«
    »Ich muss zugeben, es ist weniger … na ja, es ist nicht so …«
    »Na also, weiter brauchen Sie nicht zu suchen, die anderen sind genauso wie Sie! Nur sind Sie erwachsen, Sie können einsehen, dass manche Dinge eben sein müssen. Aber bei den Jugendlichen, da kann man von Aids und allem reden, so viel man will, pfff! Sie finden nur, dass es mit Kondom weniger gut ist. Viele weigern sich einfach, welche zu benutzen. Und wenn die Mädchen schwach sind oder zu verliebt, dann trauen sie sich nicht, darauf zu bestehen. Und die Jüngeren trauen sich auch nicht zur Schulkrankenschwester, um sich die Pille danach zu holen.«
    Wie um mich zu trösten, fügt sie noch hinzu: »Aber vielleicht ist es ja bei
Ihrer
Kleinen eine Liebesgeschichte, wer weiß. Ich hoffe es jedenfalls für sie. Wenn sie in dem Alter schwanger sind, ist es oft Inzest oder eine Vergewaltigung.«
     
    Daran hatte ich nicht einmal gedacht, ich alter Naivling. Dabei bin ich nicht ganz unbeleckt, ich kenne das Leben und seine unfassbaren Facetten ein bisschen, ich war in Gegenden der Welt unterwegs, in denen Vergewaltigung ein Sport und Inzest ein Zeitvertreib ist.
    Myriam fügt noch hinzu: »Ich will mal meine Freundin fragen, ob sie mehr über sie weiß. So, jetzt muss ich weiter. Sie sind hier schließlich nicht der Einzige!«
    Ich antworte, das sei schade, denn deswegen müsse ich die unermessliche Freude, sie zu sehen, mit anderen teilen, denen ihr unglaubliches Glück nicht einmal bewusst ist.
     
    Sie lacht und geht davon. Ohne die Tür zuzumachen.

C amille schmollt.
    Ich unternehme eine übermenschliche Anstrengung. Nur keine Ironie, halt die Klappe, Jean-Pierre.
    »Danke, dass du gekommen bist.«
    Ich spüre seine Abwehrhaltung.
    »Ein Polizist hat mir sagen lassen, ich soll bei Ihnen vorbeigehen. Da hatte ich wohl keine Wahl.«
    Herzlichen Dank an Maxime und seine Diplomatie.
    »Setz dich, wir müssen reden!«
    Autsch! Das war schon zu viel des Guten. Camille erstarrt schneller als Öl im Kühlschrank.
    Ich schalte einen Gang zurück: »Ich wollte dich bitten, mir einen Dienst zu erweisen.«
    »Schon geschehen. Ich habe Ihnen das Leben gerettet, schon vergessen? Aber ich würde der
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