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Das Leben in 38 Tagen

Das Leben in 38 Tagen

Titel: Das Leben in 38 Tagen
Autoren: Cornelia Scheidecker
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kauften wir
in dem nächsten Ort eine Flasche Sekt, damit wir anstoßen konnten, wenn wir am Berg
der Freude ankommen würden. Sonja hatte die tolle Idee, den Sekt erst einmal in
der Kühltruhe des Ladens zu deponieren, damit er dann nicht so warm war. In der
Zwischenzeit aßen wir ein Eis. Heute war es wirklich sehr warm und unser
letzter Wandertag brachte uns noch einmal ganz schön ins Schwitzen. Dick
verpackt verstauten wir den Sekt schließlich im Rucksack, denn wir mussten noch
eine gute Stunde laufen. Dabei freuten wir uns wie die Schneekönige über die
gute Idee! In Lavacolla überquerten wir den Bach, in dem sich früher alle
Pilger waschen mussten, ehe sie nach Santiago einziehen durften. Damit sollte
dem heiligen Jakobus Ehrerbietung gezollt werden. Sonja kühlte kurz ihre Füße
und dann ging es endgültig auf die letzten Kilometer.
    „Juhu!
Juhu! Juhu!“ Wir fielen uns in die Arme und küssten uns sogar vor Freude, als
wir endlich auf dem Monte do Gozo standen. Es gibt keinen Ausdruck für das, was
wir empfanden. Es war Freude und Schmerz in einem. In diesem Augenblick schien
sich jede Spannung zu lösen, aber auch alle Ängste, alle Sorgen. Jegliche
Gefühle, die wir auf dem Weg erlebt hatten, schienen nun aus uns
herauszubrechen, sich in einem lauten, großen Schrei zu entladen. Ich war auf
einmal froh, mit Sonja hier zu stehen. Sie hatte mir so viel von ihren
Problemen anvertraut, mehr als jeder andere auf dem Weg, und auch ich hatte ihr
dadurch mehr als anderen von mir erzählt, so dass es wohl genau richtig war,
dass gerade wir beide hier oben zusammen standen und gemeinsam diese unbändige
Freude erleben durften.
    Den
Blick auf Santiago de Compostela, die Stadt, auf die wir länger als fünf Wochen
und weiter als 800 Kilometer zugelaufen waren, war überwältigend. Genau so , wie ich es mir erträumt hatte, lag sie in
strahlendem Sonnenschein eingebettet von grünen Hügeln vor uns im Tal. Obwohl
es keine Großstadt war, wirkte sie auf uns doch majestätisch und gleichzeitig
verlockend. Da war es also, unser Ziel! Es schien, als ob uns die bunten Häuser
mit ihren Türmen zuwinken und beglückwünschen wollten! Uns liefen die Tränen
über die Wangen und wir schämten uns nicht.
    Das
Einzige, was fehlte, waren die Menschen. Ich hatte mir immer vorgestellt, dass
hier an diesem Punkt eine Menge Menschen auf uns warten würden. Wir würden
tanzen, singen, lachen und weinen mit vielen anderen Pilgern, die unsere
Emotionen teilen würden. Stattdessen befanden wir uns völlig allein auf einer
großen Wiese unterhalb des Monuments, welches anlässlich des Papstbesuches vor
einigen Jahren errichtet worden war, aber wir hatten nur Augen für den Blick
ins Tal. Im Schatten einer Esskastanie breiteten wir unsere Sachen aus und
ließen endlich den Sektkorken knallen. Mit Plastikbechern stießen wir auf
unsere Leistung an, auf unser Leben, auf den Camino. Immer neue Trinksprüche
fielen uns ein und wir wurden immer fröhlicher. Bis auf einen Italiener mit
einem lustigen Hahnenfedernhut, den Sonja überschwänglich begrüßte, und ein
italienisches Ehepaar, dem wir auch schon öfter begegnet waren, das aber weder
Englisch noch Deutsch sprach, trafen wir auf keine anderen Pilger. Eigentlich
total unwahrscheinlich bei den Massen teilweise auf dem Weg! Zwischen uns und
Santiago lag der riesige Herbergskomplex von Monte do Gozo, der für mehr als
800 Pilger Platz bot und ebenfalls aus Anlass des Weltkirchentages errichtet
worden war. Nachdem wir den Sekt und den Zauber des Augenblicks ausgiebig
genossen hatten, machten wir uns am frühen Nachmittag auf zu dieser letzten
Unterkunft außerhalb von Santiago.
    Aber
selbst im nüchternen Herbergsbüro konnte ich mich nicht zurückhalten und
begrüßte den jungen, hübschen Hospitalero mit einem lauten „Juhu!“ Dabei dachte
ich an Martin, meinen Sohn, und seinen japanischen Freund Yusu ( Yusuke ), der auch den ganzen Weg gelaufen war und
von dem das „Juhu“-Ruf-Ritual mitsamt rhythmischem Hochreißen der Arme stammte.
Ich hätte die ganze Welt umarmen können. Antonio, der Hospitalero, zeigte sich
unbeeindruckt von unserer sichtlichen Freude. Sachlich erklärte er uns in
perfektem Deutsch die Herberge, worauf er auf meine diesbezügliche Frage
erzählte, dass er in Deutschland studiert habe und auch eine deutsche Freundin
habe. Ich fand, dass er doch einen herrlichen Job hatte; immer nur glückliche
Pilger ankommen zu sehen, aber Antonio schien das nicht so zu
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