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Das Leben in 38 Tagen

Das Leben in 38 Tagen

Titel: Das Leben in 38 Tagen
Autoren: Cornelia Scheidecker
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Temperaturen! Deshalb war hier alles so auffallend schön grün. Wir
kehrten gleich in das erste Restaurant an der Hauptstraße ein, wo uns drei
Männer schon freudig begrüßten.
    „Hallo,
Sonja! Kommt, setzt euch zu uns!“ Einer stellte eilfertig zwei Stühle dazu und
jetzt erkannte ich, dass es die gleichen Männer waren, die gestern mit Sonja am
Tisch gesessen hatten, als ich sie traf. Sonja war sofort in ihrem Element und
lachte mit den Männern um die Wette. Die drei stammten aus Wien und hießen
kurioserweise Heiner, Heinz und Heino. Wir ließen uns unser Frühstück schmecken
und danach machten noch einige Gläschen Schnaps und ein paar Witze die Runde.
Die Männer schienen wirklich keine Kinder von Traurigkeit zu sein und so
tauften sie uns in die „wilde Sonja“ und in die „brave Conny“! Waren wir
wirklich so?
    An
den Männern fand ich interessant, dass Heiner früher als überzeugter Kommunist
in der KPÖ gewesen war und in dieser Funktion auch einmal die ehemalige DDR in
Berlin kennen lernen durfte. Er erzählte, wie er damals mit einigen
österreichischen Genossen von Vertretern des „Neuen Deutschland“, der größten
Zeitung der SED, zu einer Modenschau eingeladen worden war. Hier waren nicht
nur alle von der Schönheit und Professionalität der Frauen begeistert, sondern
vor allem staunten die ausländischen Gäste über die vielfältige Modernität und
Originalität der gezeigten Modelle. Also schien sich der Arbeiter- und
Bauern-Staat doch ganz gut entwickelt zu haben, dachte man. Erst als Heiner
dann hinterher gefragt wurde, ob er denn wirklich glaube, dass man so etwas in
der DDR auch kaufen könnte, fing er an, zu überlegen. Heute hat Heiner ein Haus
auf Ibiza und von seinen kommunistischen Idealen ist nicht mehr viel übrig
geblieben, so wie in den ehemals sozialistisch regierten Ländern auch...
    Als
wir uns gegen 10.00 Uhr wieder auf den Weg machten, schien die Sonne und wir
konnten unser Cape erst einmal einpacken. In der Stadt füllten wir unsere
Vorräte mit frischem Obst, Brot, Käse und Tomaten auf, ehe wir frisch gestärkt
die letzten Kilometer unserer Reise antraten. Wir nahmen uns vor, nun jeden
Schritt zu genießen, denn schließlich hatten wir alle Zeit der Welt. Natürlich
konnte immer noch etwas passieren, aber daran glaubte eigentlich keiner von
uns. Und wieder wurde es ein schöner Wandertag, ähnlich den vorangegangenen.
Zahlreiche verstreut liegende Dörfer zwischen hügeligen Feldern, dazwischen
sandige Wege durch jungen Nadelwald und alten Eichenbestand, der nun zunehmend
durch hohe, schlanke Eukalyptusbäume ersetzt wurde, boten sich heute unserem
Blick. Überall sah man die gefällten Eichen. Die Eukalyptusbäume verströmten
einen angenehmen kühlen Duft, aber ob das so eine gute Idee ist, diesen
ursprünglich aus Australien stammenden Baum in Europa anzusiedeln? Ich hatte
gelesen, dass Eukalyptus sich nur als Monokultur eignet und anderen Pflanzen
buchstäblich das „Wasser abgräbt“. Wir befürchteten, dass hier mal wieder die
Wirtschaftlichkeit über die Umwelt gesiegt hatte, denn Eukalyptus wächst sehr
schnell und eignet sich gut für die Papierherstellung...
    Während
Sonja und ich liefen und diskutierten, stellten wir plötzlich fest, dass die
Pilgerzahl drastisch zunahm. Einzelne Südamerikaner mit grünweißen Fähnchen
waren uns bereits gestern aufgefallen, aber heute schien eine ganze Division
unterwegs zu sein. Zunächst versuchten wir mit schnellerem Laufen die
einzelnen, laut schnatternden Gruppen zu überholen,
doch nach einigen Kilometern mussten wir die Sinnlosigkeit unseres Bemühens erkennen.
Es gab nirgends einen Anfang oder ein Ende. Hinter jeder Biegung tauchte eine
neue Gruppe auf. Wir waren mittendrin in einer riesigen Pilgertruppe und das
fand ich noch unangenehmer als Sonjas ständiges Geplapper. Wie froh war ich,
gestern in dem herrlichen Waldstück allein gewesen zu sein. Heute konnte man
das kaum noch glauben!
    Die
Südamerikaner mit ihren Tagesrucksäckchen, den weißen Baseballkappen oder
Brasilia-Shirts bestanden hauptsächlich aus jungen dunkelhäutigen Menschen, die
fröhlich schwatzten, sangen oder sogar mitten auf dem Weg tanzten. Auf einmal
sahen wir vor uns einen Pilger mit einem Kind an der Hand laufen. Nein, beim
Näherkommen stellten wir fest, dass es gar kein Kind war, sondern ein sehr
kleiner Erwachsener, ein Liliputaner mit einem großen alten Gesicht, großen
Händen und Füßen. Er musste an der Hand laufen, weil
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