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Das Leben in 38 Tagen

Das Leben in 38 Tagen

Titel: Das Leben in 38 Tagen
Autoren: Cornelia Scheidecker
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österreichisches Ehepaar
hier eingekehrt. Die Wirtin sprach kein Wort Englisch und erschien uns nicht
sehr freundlich. Aber egal, das Essen schmeckte und in dem großen Garten konnte
man schön in der Abendsonne sitzen und die Haare und die Wäsche trocknen
lassen.
    Ich
schlief gut und am nächsten Morgen, dem vorletzten Tag meiner Reise, begann ich
voller Freude bei strahlendem Sonnenschein allein meinen Weg. Nicht einmal 25
Kilometer waren es noch bis Santiago. Ich könnte sogar heute noch bis dorthin
laufen, wenn ich es wollte. Was für eine herrliche Vorstellung! Aber ich hatte
mir schon genau ausgemalt, wie ich am Morgen nach Santiago hineinmarschieren
würde, um mittags um 12.00 Uhr in der Pilgermesse zu sein. Also würde ich heute
„nur“ zwanzig Kilometer bis zum Monte do Gozo, dem Berg der Freude gehen und
von dort das erste Mal Santiago erblicken! Ich würde es richtig genießen, es
war fast unvorstellbar! Nun lagen bereits 800 Kilometer hinter mir, eigentlich
hatte ich es schon geschafft. Nur der krönende Abschluss fehlte noch, der
Zieldurchlauf! Fast wie am Beginn meiner Reise wechselten sich Spannung, Stolz
und Freude in meinem Kopf ab.
    Federleicht
erschienen mir plötzlich meine Füße und mein Rucksack, als ich wie auf Wolken
durch die kühlen Eukalyptuswälder lief. Wo waren meine Sorgen geblieben? Ich
empfand nur noch Glück, das Gefühl, auch in Zukunft alles schaffen zu können,
was ich mir vornahm. Diese wunderbare Leichtigkeit des Seins, wie ich sie
bisher nur auf Berggipfeln erlebt hatte, sie war auf einmal in mir und
begleitete mich.
    Plötzlich
störte zunehmender Fluglärm meine innere Ruhe. Der Jakobsweg führte unter der
Einflugschneise des Flughafens von Santiago entlang. Und auf einmal begegnete
ich auch wieder einigen Pilgern, unter anderem Gerold, der in der
Gemeindeherberge in St. Irene geschlafen hatte. Sonja hatte er aber nicht
getroffen; also musste sie noch weiter gegangen sein. Gerold lief allein,
wollte sich aber in Santiago mit Elisabeth und Maria treffen, die schon
vorausgegangen waren. Eigentlich hatte er sich noch mehr Zeit nehmen wollen, da
sein Flugzeug erst am Dienstag ging, aber scheinbar hatte ihn jetzt doch der
Ehrgeiz gepackt und er wollte seinen beiden Freundinnen nicht nachstehen. Ich
glaube, er wollte hauptsächlich mit ihnen die Ankunft in Santiago feiern, denn
das müsste man eigentlich mit guten Weggefährten tun. Mit wem würde ich wohl
die Ankunft in Santiago feiern?
    Gerold
und ich liefen ein Stück zusammen und im nächsten Ort trafen wir auf weitere
Bekannte, die vor einem Restaurant saßen. Da waren Christa und Hermann aus
Kempten, die drei Österreicher und - Sonja! Mit lautem Hallo rückten alle näher
zusammen und wir ließen uns Kaffee und Cola schmecken. Ich gab Christa und
Hermann erst mal einen Kaffee aus, denn wer weiß, ob wir uns in Santiago noch
einmal treffen würden. Ich freute mich so, sie wiederzusehen, da es die beiden
waren, die sich am gleichen Tag wie ich vor mehr als fünf Wochen auf den Weg
gemacht hatten. Wer hätte gedacht, dass wir es schaffen würden, die ganze
Strecke zu laufen! Die beiden waren auch überglücklich und stolz.
    „Ja,
Christa, wenn es nach dir gegangen wäre“, sagte jetzt Hermann, „wären wir nie
gelaufen. Wir haben es immer wieder von einem Jahr auf das andere verschoben
und nun habe ich gesagt: Dieses Jahr werden wir siebzig und nun gehen wir los.
Jetzt oder nie! Wer weiß, ob wir es später noch können!“ Seine Frau lachte und
legte begütigend ihre Hand auf seinen Arm: „Ja, du hast recht! Es war das
Beste, was wir tun konnten, etwas ganz Besonderes, ein Geschenk, und das habe
ich dir zu verdanken!“
    Nun
trank Hermann zufrieden seinen Kaffee und die Österreicher ließen wieder mit
ein paar lustigen Sprüchen einige Schnäpschen kreisen. Schließlich war heute ja
auch Männertag und das bedeutete doch doppelten Grund zum Feiern! Wir lachten,
schwatzten und genossen die Zeit, aber irgendwann hieß es noch einmal:
aufstehen und weitergehen, jeder dorthin, wo er übernachten wollte. Nun schlich
sich sogar noch etwas Wehmut in den Abschied. Wir versprachen uns zwar alle,
uns morgen Mittag in der Kathedrale zu treffen, aber keiner wusste, ob das auch
klappen würde. „Adiós, buen camino!“ Bald würden wir es zum letzten Mal hören
und sagen!
    Sonja
fragte mich, ob wir nicht zusammen weitergehen wollten, und so beschloss ich,
dass es wohl so sein sollte. Ich wollte nicht „Nein“ sagen und so
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